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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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der Fanny-von-Lehnert-Straße gesehen habe, die Zeit macht aus ihren Zeugen immer Vergessende. Die Menschen befanden sich zu dieser Zeit in einem fortwährenden Angstzustand, und beinahe ununterbrochen waren amerikanische Flugzeuge in der Luft, und der Gang in die Stollen war allen in der Stadt zur Gewohnheit geworden, viele hatten sich in der Nacht nicht mehr ausgezogen, damit sie bei Alarm sofort den Koffer oder die Tasche mit ihrem Notwendigsten packen und in die Stollen hineingehen konnten, aber viele in der Stadt begnügten sich damit, nur in ihre eigenen Hauskeller hinunterzugehen, weil sie sich dort schon sicher glaubten, aber die Hauskeller waren, fielen Bomben darauf, Gräber. Es war bald mehr am Tage als in der Nacht Alarm gegeben worden, weil sich die Amerikaner ungehindert in der von den Deutschen, wie es schien, vollkommen verlassenen Luft bewegen konnten, bei hellichtem Tage zogen die Bomberschwärme ihre Bahnen zu deutschen Zielen über die Stadt, und gegen Ende vierundvierzig war
nur noch selten in der Nacht
das Dröhnen und Brummen der sogenannten feindlichen Bombenflugzeuge in der Luft. Aber es gab auch in dieser Zeit noch nächtlichen Fliegeralarm, da waren wir aus den Betten gesprungen und hatten uns angezogen und waren durch die vorschriftsmäßig völlig verdunkelten Gassen und Straßen in die Stollen hinein, die von den Stadtbewohnern immer schon voll gewesen waren, wenn wir hinkamen, denn viele waren schon am Abend, bevor noch Alarm gewesen war, in die Stollen hineingegangen, mit Kind und Kegel, sie hatten es vorgezogen, die Nacht gleich in den Stollen zu verbringen, ohne den Alarm abzuwarten, von dem Sirenengeheul aufgeschreckt und durch die Straßen in die Stollen getrieben zu werden, angesichts der vielen Toten auch in Salzburg nach dem ersten Angriff waren sie zu Tausenden in die Stollen geströmt, in den schwarzen, vor Nässe blinkenden und tatsächlich auch immer lebensgefährlichen, weil viele Todeskrankheiten auslösenden Felsen. Viele haben sich
in den auf jeden Fall krankmachenden Stollen
den Tod geholt. Daß ich einmal von dem Sirenengeheul aufgeschreckt worden bin in der Nacht, denke ich und, ohne zu denken, zwischen den andern durch auf die Toilette gelaufen bin und wieder von der Toilette zurück in den Schlafsaal gegangen und mich niedergelegt habe und sofort wieder eingeschlafen bin. Kurze Zeit später bin ich durch einen Schlag auf den Kopf aufgewacht, der Grünkranz hatte mir mit der Taschenlampe auf den Kopf geschlagen, ich war aufgesprungen und hatte mich, am ganzen Leib zitternd, vor ihm aufgestellt. Da sah ich, unter dem Schein der Taschenlampe, einer sogenannten Stablampe des Grünkranz, daß alle Betten im Schlafsaal leer waren, in diesem Augenblick war mir eingefallen, daß ja Alarm gegeben worden war und alle in den Stollen gegangen sind, ich selbst war aber, anstatt mich anzuziehen wie die andern, auf die Toilette gegangen und hatte da vergessen, daß Alarm war, und hatte mich, aus der Toilette zurückkommend und in den vollkommen ruhigen finsteren Schlafsaal zu meinem Bett tastend, weil ich geglaubt hatte, daß alle im Schlafsaal schliefen, weil ich den Alarm vergessen hatte, wieder in mein Bett gelegt und war sofort eingeschlafen, allein in dem riesigen Schlafsaal, während die andern längst in den Stollen waren, der Grünkranz als sogenannter Luftschutzwart hatte mich aber auf seinem Rundgang entdeckt und ganz einfach durch einen Schlag mit der Stablampe auf den Kopf aufgeweckt. Er ohrfeigte mich und befahl mir, mich anzuziehen, und er werde, sagte er, sich eine Strafe für mein Vergehen
ausdenken
(die Strafe war wahrscheinlich zwei Tage Frühstückslosigkeit gewesen), bevor er mir befahl, in den hauseigenen Luftschutzkeller hinunterzugehen, wo niemand außer seiner Frau, der Frau Grünkranz, zu welcher ich Zutrauen gehabt habe, gewesen war, die Grünkranz saß in der Kellerecke, und ich durfte mich zu ihr setzen, und die Anwesenheit dieser mütterlichen und, wo sie konnte, mich immer beschützenden Frau beruhigte mich. Ich hatte ihr erzählt, daß ich, wie alle andern Zöglinge auch, aufgestanden, aber, anstatt mich anzuziehen und mit ihnen in die Stollen zu gehen, auf die Toilette gegangen war und dann, nach der Rückkehr in den Schlafsaal, auf den Alarm vergessen gehabt und mich wieder niedergelegt hatte, das hätte den Herrn Direktor, ihren Mann, aufgebracht. Ich hatte nicht gesagt, daß ihr Mann mir mit der Stab-lampe auf den Kopf geschlagen hatte, um mich

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