Die Ballonfahrerin des Königs
ihren Bändigungsversuchen. Einen Umstand, den André liebte, weil es ihr klares und
manchmal unnahbar wirkendes Madonnengesicht verletzlich wirken ließ. Er deutete auf etwas, das wie ein Teller anmutete, der
in einem Spinnennetz hing. «Es ist der Plan des Fallschirms. Ich grübele über das Öffnen.» Sein Zeigefinger klopfte auf das
Blatt. «Vom Öffnen hängt alles ab. Der Schirm darf nicht geschlossen sein beim Absprung, sonst fällt er wie ein Stein zu Boden.»
Er sah von seinem Plan hoch. Marie-Provence kam ihm ungewöhnlich bleich vor. «Was ist los?», fragte er.
«Nichts», sagte sie leise. Sie verzog den Mund, doch das Lächeln wollte ihr nicht so recht gelingen. «Ich frage mich nur gerade,
wie ich das verantworten soll. Doch sosehr ich |363| mich auch bemühe, ich … ich finde einfach keine Antwort darauf.»
«Was machst du dir da für Gedanken?» Er runzelte die Stirn und richtete sich auf. «Sieh mich an, mon amour!» Als sie widerwillig
gehorchte, sagte er: «Ich bin Forscher und Physiker, Marie. Und vielleicht auch ein wenig verrückt. Ich habe mich für die
Luftfahrt interessiert, lange bevor wir uns kannten. Mein allererstes Ballonmodell bestand nur aus Papier und einer Stange
zum Festhalten und hat mich gerade einmal bis zum nächsten Baumwipfel getragen, bevor es in Flammen aufging. Ich habe mir
die Finger verbrannt und das Schienbein gebrochen und, noch humpelnd, bereits an einem verbesserten Entwurf gearbeitet. Und
das, was du hier siehst, diese Skizze hier, habe ich bereits vor drei Jahren entworfen. Ich will diesen Sprung. Wenn er dir
dazu dient, deinen Traum zu verwirklichen, finde ich es wunderbar, aber …» Ernst fuhr er fort: «Kannst du dich an unser Streitgespräch erinnern, als wir auseinandergingen, kurz bevor du verhaftet
wurdest? Du wolltest mich überzeugen, den kleinen Capet zu befreien.»
Der grüngraue Blick seiner Geliebten wurde wachsam. «Natürlich.»
Er nickte kurz. «Ich möchte dir nur klarmachen, dass mich niemand zu etwas zwingen kann, was ich nicht möchte.» Er sah sie
fest an. «Auch du nicht, Marie.»
«Nein. Das … das weiß ich.»
«Du trägst keine Verantwortung für mein Tun, so wie auch ich nicht verantwortlich bin für das, was du machen wirst, wenn du
alleine in diesem Ballon fliegst. So wie ich deinen Willen respektiere und dich da oben dir selbst überlassen werde, obwohl
ich vor Sorge um dich vergehen werde, solltest auch du mich diesen Sprung machen lassen. Und wenn etwas passieren sollte,
so ist es der Wille des Schicksals und nicht deine oder meine Schuld.»
Sie senkte den Kopf, wandte sich mit verschränkten Armen von ihm ab und floh aus dem Raum.
Er ging ihr nicht nach, beugte sich erneut über seine Pläne, |364| warf aber immer wieder einen suchenden Blick in Richtung Hof. Er wusste, dass etwas an Marie-Provence nagte. Aber er wusste
auch, dass es nichts nutzte, sie zu bedrängen, wenn sie sich von ihm zurückzog.
Er war überzeugt, dass es die Nachwehen ihrer Gefangenschaft waren, die sie bedrückten und sie nachts aufschrecken ließen.
Sie hatte ihm nie Einzelheiten berichtet, aber die schreckliche Erfahrung hatte sie verändert. Manchmal schien sie ihm so
fremd, dass ihn seinerseits Ängste überkamen, er könnte sie verlieren. Wenn sie sich ihm dann allerdings wieder zuwandte,
war es stets so voller Hingabe, dass er seine Bedenken sofort vergaß. Er hatte sich vorgenommen, sich zu gedulden, ihr Zeit
zu lassen. Offenbar war es die Hoffnung auf diesen Flug, die ihr in ihrer Zelle Kraft gegeben hatte. Es war, als brauche sie
diese Ballonfahrt als endgültigen Beweis, dass sie überlebt hatte. Deshalb setzte André seine ganzen Kräfte für diesen Flug
ein. Danach, so hoffte er, würde sie ihm ganz gehören – danach würde sie endlich einwilligen, seine Frau zu werden.
Ja, Zeit, dachte André, als er einen Zirkel ergriff, um einen Kreis auf seinem Plan zu ziehen. Wir brauchen Zeit. Wenn der
Ballon erst einmal einsatzbereit wäre und der Sprung ein Erfolg, würde er ihn noch ein paarmal wiederholen, bis er genug Geld
hatte, um ein Labor zu mieten. Dann würde er seine wissenschaftlichen Arbeiten am Ultramarin fortsetzen. Er war überzeugt,
dass er ganz nahe dran war, den Farbstoff künstlich herzustellen. Und von dem Augenblick an würden er und Marie-Provence finanziell
ausgesorgt haben.
«Sie sind André Levallois?»
André klappte den Zirkel zusammen und betrachtete
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