Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
einen mit rötlicher Vulkanerde erbauten Weg erreichte. Dort zog er Garrison aus, legte die Kleidung zusammen und packte sie in einen Müllbeutel, den er in seinem Rucksack verstaute. Er hätte die Leiche einfach im Unterholz verstecken können, aber es gab eine bessere Möglichkeit.
Schon bald machte ein schwefliges Miasma sich durchdringend stark bemerkbar, und die Vegetation wurde dünner, bis sie schließlich nur noch aus glitschigen Matten aus Flechten und Gräsern bestand. Aus einzelnen Erdspalten und Schlammlöchern stiegen kleine Dampfwolken auf, die in dem schwachen Mondlicht silbern glänzten.
Zehn Minuten später sah Rinehart, der sich im Lichtschein des teilweise durch Wolken verdeckten Halbmonds bewegte, an einem Felsblock vorbei und erkannte unter sich eine größtenteils von Dampf verhüllte, milchig aussehende, fast kreisrunde Wasserfläche. Das war der See. Er hievte den Toten – sogar bei schwachem Licht war er mit schlaffen Brustmuskeln, seinen Krampfadern und grober grauer Rückenbehaarung eine sichtbar unangenehme Erscheinung – über eine Kante aus abbröckelndem Bimsstein. Die Leiche rollte, sich überschlagend, den Steilhang hinunter und klatschte in das blubbernde, kochend heiße Wasser.
Nachdem das Fleisch ein paar Stunden in dieser Schwefelbrühe gekocht hatte, würde es sich vom Skelett lösen. Zähne und Knochen würden auf den Boden des sechzig Meter tiefen Sees sinken. Hätten die Behörden noch so viele Gründe dafür gehabt, sie könnten durch so heißes Wasser keine Taucher hinunterschicken
– und Rinehart bezweifelte sehr, dass sie Anlass dazu sehen würden. Er war recht zufrieden mit sich selbst. Dies war eine ausgesprochen kreative Methode, die Jungs von Cons Ops im Ungewissen zu lassen.
Er klappte sein Handy auf und wählte eine Nummer in den Vereinigten Staaten. Der Empfang war kristallklar.
»Alles läuft nach Plan«, meldete er. Dann machte er eine Pause und hörte zu, bevor er weitersprach: »Will Garrison? Kein Problem. Sagen wir einfach, dass er in heißes Wasser geraten ist.«
Kapitel achtundzwanzig
Vor der Zellentür hatte sich eine Pfütze gebildet, stellte der Wärter aufgebracht fest. Er beeilte sich, die Tür zu öffnen, steckte seinen Schlüssel hinein, drückte die Klinke herab und trat über die S chwelle.
Die Schlampe hat die Badewanne überlaufen lassen . Das war nicht der letzte Gedanke des Wärters, aber einer der letzten. Er hatte auch noch Zeit, sich darüber zu wundern, dass seine Hand nicht nur auf der Türklinke lag, sondern sie geradezu krampfhaft umklammerte. Er wunderte sich über etwas, das wie zusammengedrehte Alufolie aussah, die von der inneren Klinke weit zu etwas hinaufführte, das er nicht sehen konnte. Er wusste, dass die Wasserlache, in der er stand, tatsächlich aus dem Badewannenhahn stammte, und nahm sogar das kleine blaue Firmenzeichen auf dem Salzbriefchen wahr, das auf der Pfütze schwamm. Diese Eindrücke kamen mehr oder weniger gleichzeitig an: ein in Panik geratener Mob, der ein Tor belagerte; er hätte nicht sagen können, welcher als Erster, welche später gekommen waren.
Es gab auch viele Gedanken, die er nicht hatte. So dachte er nicht über die Tatsache nach, dass eine Stromstärke von einem Zehntel Ampere ausreichte, um Herzrhythmusstörungen zu erzeugen. Ihm fiel nicht auf, dass es an der Tür dunkler war als sonst, weil die Deckenleuchte zertrümmert worden war. Der glühende, vibrierende Schmerz, der ihn durchzuckte, der Arm, Brust und Beine erfasste, raubte ihm rasch das Bewusstsein. Deshalb konnte er nicht sehen, dass sein zusammensinkender Körper verhinderte, dass sich die Tür schloss, konnte nicht wahrnehmen,
dass die Frau über ihn hinwegsprang, und konnte ihre leichten Schritte nicht hören, als sie auf dem Klosterflur wegrannte.
Andreas Füße glitten mit weiten, sanften Schritten über den Steinboden. Vorerst hatte sie noch das Überraschungsmoment auf ihrer Seite; das würde jedoch nicht mehr lange so sein. Sie hatte kaum Zeit, ihre eigenartige Umgebung zu registrieren: runde Steinsäulen und Kreuzgewölbe wie in einer Kapelle. Naturstein, schwere Balken, Ziegel. An einer Wand eine verblasste kyrillische Inschrift unter einer bärtigen Ikone. Anscheinend ein russisch-orthodoxes Kloster, aber mit amerikanischem Wachpersonal … und was sagte ihr das tatsächlich?
Am Ende des langen Korridors stand ein Mann in Khakiuniform. Er sah auf, erfasste die Situation mit einem Blick und griff nach etwas
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