Raumschiff 3 - Tia
KAPITEL 1
Das rubinrote Licht der Kommunikationskonsole blinkte, als Hypatia Cade unter der Unterrichtshaube hervorkam und vor ihren siebenjährigen Augen die Quadratgleichungen tänzelten.
Es war nicht das beständige Blinken, das eine aufgezeichnete Nachricht anzeigte, auch nicht der Dreierrhythmus, der
bedeutete, daß Mum oder Dad ihr eine Notiz hinterlassen hatten, sondern vielmehr das doppelte Blinken mit einer Pause zwischen den einzelnen Phasen, das ihr mitteilte, daß oben jemand darauf wartete, daß sie den Kanal freigab.
Irgend jemand oben: Das bedeutete ein nicht im Fahrplan vorgesehenes Schiff, das… Tia wußte sehr gut, wann die
planmäßigen Besuche fällig waren; sie standen im
Familienkalender und wurden ihr von der KI als allererstes beim Frühstück gemeldet. Das bedeutete, daß sie wirklich sehr schnell antworten mußte, ohne sich die Zeit zu nehmen, erst in den Anzug zu steigen und loszulaufen, um Mum oder Dad zu empfangen. Ein Notfall konnte es aber nicht sein, sonst hätte die KI ihren Unterricht unterbrochen.
Sie rieb sich die Augen, um die tanzenden Variablen zu
vertreiben, und schob ihren Schemel zur
Kommunikationskonsole hinüber, damit sie alle Tasteingaben erreichen konnte, wenn sie sich darauf stellte. In einem Sessel wäre sie an nichts herangekommen. Mit einer forschen
Effizienz, um die sie jeder dreimal so alte Mensch beneidet hätte, löschte sie das Signal, wärmte das Relais auf und öffnete den Kanal.
»Forschungsteam C-Eins-Zwei-Eins«, betonte sie deutlich, denn das Mikrofon war alt und verlor manchmal etwas, wenn es nicht klar ausgesprochen wurde. »Forschungsteam C-Eins-Zwei-Eins auf Empfang. Bitte kommen. Over.«
Nervös zählte Tia die vier Sekunden ab, die es in den Orbit und zurück brauchte. Eins-Hypothenuse, Zwei-Hypothenuse, Drei-Hypothenuse, Vier-Hypothenuse. Wer konnte es sein? Sie bekamen nicht oft außerplanmäßige Schiffe, und meistens bedeutete es Ärger. Planetenpiraten, Seuchen oder
Sklavenhändler. Schwierigkeiten mit einem der
Kolonieplaneten. Oder, noch schlimmer: Artefaktdiebe im Gebiet. Eine solch kleine Station war nur zu verwundbar für einen Blitzüberfall. Natürlich gaben Ausgrabungen über
Salomom-Kildaire-Wesen nur selten etwas her, wonach es
einen Sammler gelüstete, aber wußten die Diebe das auch? Tia hatte ihre Befehle, wenn Räuber kommen sollten und sie allein war, sich in den geheimen Fluchttunnel zurückzuziehen, der die Kuppel in die Luft jagen würde; in das dunkle, kleine Versteck, weitab von der Station, das Mum und Dad als erstes eingerichtet hatten, sobald die Kuppel gestanden hatte…
»Hier ist Kurier TM Dreisiebzig. Tia, Liebste, bist du das?
Mach dir keine Sorgen, Liebes, wir sind auf einer Kurierfahrt, und das hier lag auf dem Weg, deshalb haben wir dir deine Pakete früher gebracht. Over.« Die volle Altstimme wurde vom Lautsprecher etwas verflacht, war ihr aber noch immer willkommen und vertraut. Vor Aufregung hüpfte Tia auf ihrem Schemel auf und ab.
»Moira! Ja, ich bin es! Aber…« Sie runzelte leise die Stirn.
Beim letzten Mal, als Moira hiergewesen war, hatte ihre Bezeichnung CM gelautet und nicht TM. »Moira, was ist mit Charlie passiert?« Ihre siebenjährige Stimme nahm den halb vorwurfsvollen Ton einer sehr viel älteren Person an.
»Moira, hast du etwa schon wieder einen Piloten vergrault?
Du solltest dich schämen! Weißt du nicht mehr, was sie dir damals gesagt haben, als du Ari aus deiner Luftschleuse gestoßen hast! Over.«
Vier Sekunden; eine Ewigkeit! »Ich habe ihn nicht vergrault, Liebling«, erwiderte Moira, obwohl Tia den Eindruck hatte, daß sie doch ein wenig schuldbewußt klang. »Er hat
beschlossen zu heiraten, seine eigene Brut aufzuziehen und sich als Schlammbewohner niederzulassen. Keine Sorge, das wird der letzte gewesen sein, da bin ich mir sicher. Tomas und ich kommen hervorragend miteinander aus. Over.«
»Das hast du auch schon über Charlie gesagt«, erinnerte Tia sie düster. »Und über Ari und Lilian und Jules und…«
Sie war immer noch damit beschäftigt, Namen
herunterzuleiern, als Moira sie unterbrach. »Schalt den Landungspeilstrahl an, Tia. Wir können uns unterhalten, wenn ich gerade keinen Treibstoff für Orbitaussteuerung vergeuden muß.« Ihre Stimme wurde eine Spur heimtückisch. »Außerdem habe ich dir ein Geburtstagsgeschenk mitgebracht. Deshalb wollte ich es mir auch nicht entgehen lassen, hier
haltzumachen. Over.«
Als wenn ein Geburtstagsgeschenk
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