Die Barbaren
der Nacht verschwand. Erst nach langer Zeit, als der Mond untergegangen war, verschwanden die Wölfe. Aber da war es zu spät, Olinga zu retten.« Eindringlich fügte er hinzu: »Ich wollte nicht ihren Tod, Nottr. Ich schwöre es bei den Wintergöttern.«
Als Nottr immer noch schwieg, fuhr er rasch fort: »Danach nahm ich selbst ein wenig des Pilzes, um auf meine Art mit den Wölfen zu sprechen. Ich hoffte, sie würden mich rufen wie Olinga… aber sie blieben stumm.«
Eine Weile schwiegen sie beide, der Schamane, weil alles erzählt war, und Nottr, weil der Schmerz über den Verlust der geliebten Gefährtin ihm die Kehle zuschnürte.
Schließlich würgte Nottr hervor: »Weshalb glaubst du, daß sie noch lebt? Hast du nicht selbst gesagt, daß du es für unmöglich hältst?«
»Wenn sie Kraft genug hat, dir diese Träume zu schicken…«
»Weshalb haben sie sie geholt? Kannst du mir das sagen, Schamane?«
Skoppr schüttelte verneinend den Kopf. »Es ist meines Wissens noch nie geschehen, daß Tiere einen von uns holten. Aber die Welt ist voller Geister, seit die Finsternis ihren Schatten über Gorgan wirft. Wer mag schon sagen, was alles geweckt wird in den Kreaturen? Die Wölfe verhalten sich in diesem Winter nicht, wie wir es von ihnen gewohnt sind. Sie rotten sich zusammen. Von überall her. Es ist erst der Beginn. Sie sammeln sich für etwas Großes…«
»Hast du deshalb Furcht vor ihnen?«
»Ja, denn ich glaube, daß ich es bald wissen werde, was sie vorhaben. Zu sehr bin ich mit ihren Geistern verbunden, seit Qiraha mich in den Nächten meiner Schamanenwerdung das Wolfsorakel lehrte. Und ich glaube, auch sie wissen, daß sie es vor mir nicht geheimhalten können. Sie werden mich holen kommen. Ich weiß es.«
»Sie hätten dich längst töten können, wenn sie gewollt hätten«, entgegnete Nottr zweifelnd.
»Sie wollen mich nicht töten.« Der Schamane schüttelte den Kopf. »Sie wollen mich nicht tot. Aber sie sind hinter mir her.«
Nottr versuchte sich vorzustellen, weshalb die Wölfe sich zusammenrotteten, weshalb sie Olinga geholt hatten, weshalb sie den Schamanen holen wollten. Ein Angriff auf die Menschen. So unglaublich solch ein Gedanke auch war, so hatte der Schamane doch recht, wenn er sagte, daß der Schatten der Finsternis über Gorgan lag, und daß alles mögliche geschehen mochte (und auch bereits geschehen war).
Und da waren die Wölfe, die sie seit zwei Tagen begleiteten und beobachteten.
»Gibt es einen Weg, herauszufinden, ob Olinga lebt?« fragte er.
»Mit ein paar hundert Kriegern könntest du versuchen, ihren Schlupfwinkel ausfindig zu machen. Doch das würde Monate dauern…«
»Du wirst herausfinden, wo dieser Schlupfwinkel ist, Schamane!« Es klang entschlossen und grimmig.
»Vielleicht gelingt es mir«, erwiderte er zitternd. »Aber selbst dann wirst du viele Krieger brauchen, um Olinga zurückzuholen… wenn sie noch lebt…«
Entschlossenheit und Hoffnung dämpften Nottres Schmerz.
»Erst werde ich dafür sorgen, daß mein Sohn in Sicherheit ist. Danach werden wir zurückkehren, du und ich und tausend Männer.«
5.
Als sie bei Sonnenaufgang aufbrachen, warteten die Wölfe wieder in der Ferne. Doch diesmal war ihre Zahl auf gut drei Dutzend angewachsen.
Der Schamane beobachtete sie furchtsam. Auch die Krieger waren ein wenig beunruhigt, denn die Wölfe ließen kein Auge von ihnen.
Als sie sich in Marsch setzten, folgten die Wölfe, und bis zum Mittag wuchs ihre Zahl beträchtlich. Sie schienen aus dem Nichts aufzutauchen.
Nottr versuchte sie zu ignorieren. Für ihn zählte nur, daß die das Hauptlager erreichten. Einen Angriff wie jenen vor drei Tagen würden sie nicht mehr überstehen. An den Spuren war zu sehen, daß der Vorsprung des anderen Teils ihres Haufens größer geworden war. Zwar gingen sie auch zu Fuß, doch daß sie ihre Lasten auf den Schlitten transportieren konnten, ließ sie schneller vorwärtskommen. Da war keine Hilfe zu erwarten. Der Vorsprung betrug nun fast zwei Tage.
Einige von Urgats Kriegern schworen am Mittag bei allen Wintergöttern, daß sie eine menschliche Gestalt unter den Wölfen gesehen hätten.
Aber Nottr, der sie mit einer wilden Hoffnung im Herzen beobachtete, vermochte nichts zu entdecken. Aber er sah, daß die den Abstand verringert hatten.
Dann löste sich einer aus ihrem Rudel und kam langsam näher auf die halbe Entfernung.
Urgat war plötzlich an Nottres Seite.
»Chian’taya«, sagte er. »Rede mit ihnen.«
Nottr
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