Die Barbaren
dich sein, aber auch eine Erfahrung, die die Götter nur wenigen gönnen. Aber du bist noch nicht am Ende mit deiner Geschichte.«
»Wir erreichten die Berge, die sie den Rand der Welt nannten, und hörten plötzlich Stimmen, die uns riefen und zu einer Höhle führten… in diesen schrecklichen Tempel, wo wir nicht mehr allein waren in unseren eigenen Körpern, die sie uns wegnahmen…«
»Sie?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht werde ich mich mit der Zeit wieder erinnern, was alles in der Dunkelheit und der Leere und der Stille geschah, in der wir alle waren und wartete… viele waren es… viele, die vor uns da waren… viele, die nach uns kamen…«
Tränen kamen in ihre Augen, und ein Schluchzen schüttelte den Körper.
Und die Krieger am Feuer wandten sich um und starrten verwundert auf Cahrn, der plötzlich die Hände vor das Gesicht geschlagen hatte und weinte wie ein Kind.
Keiner konnte sich erinnern, einen Krieger der Horde je weinen gesehen zu haben. So starrten sie den Schamanen finster an, mit Blicken, die deutlich genug sagten, wenn du diesen Hokuspokus mit uns auch versuchst…!
»Cahrn erinnert sich«, sagte Skoppr. »Er erinnert sich an mehr als nur sein Leben. Ihr alle, die ihr in diesem Tempel gewesen seid, seid nicht sicher davor. Ihr seid nicht allein.«
Urgat nickte. »Ich habe früher nie geträumt. Jetzt ist es, als wäre mein Geist nachts wacher als am Tag…«
»Es ist nicht dein Geist, der nachts wach ist, Urgat. Hüte dich vor dem Opistrunk und allem, was deinen Verstand lähmt, sonst wirst du eines Morgens nicht mehr erwachen, und ein Fremder wird über deinen Körper herrschen.«
Urgat nickte mit bleichem Gesicht. »Werde ich nie mehr davon frei sein?«
Skoppr zuckte die Schultern. »Wenn es etwas gibt, euch davon zu erlösen, dann ist er nur in diesem Tempel zu finden.«
Die Männer schauderten.
»Ich muß starke Qualen leiden, um dorthin zurückzukehren«, sagte er.
»Die Tür ist verschlossen«, sagte Nottr. »Niemand wird sie wieder öffnen. Es gibt auch keine Stimmen mehr, die den Unachtsamen in die Fallelocken…«
»Weil sie in euch sind«, ergänzte der Schamane, »weil sie nun haben, wonach sie schrien – einen Körper. Auch wenn er ihnen nicht allein gehört.«
»Sind sie Tote?« fragte Urgat.
»Ihre Körper sind tot«, sagte Nottr.
»Woher weißt du das?« fragte Cahrn-Ileen mit zitternder Stimme.
»Ich sah die Überreste«, erwiderte Nottr. Es war eine Lüge, doch nicht so weit ab von der Wahrheit. Hatte Qu Irin nicht gesagt, daß es ihr aller Schicksal gewesen wäre, daß ihre Körper für Oannon in die Schlacht zogen? Sie waren so gut wie tot. Aber er wollte mit keinem hier über diese andere Welt sprechen. Vielleicht mit Skoppr eines Tages – aber nicht, bevor er mit Mythor darüber gesprochen hatte.
»Was sind sie dann, wenn ihre Körper tot und ihre Geister nicht gestorben sind?«
»Es gibt viele Wege, zu leben«, sagte der Schamane nachdenklich; »und viele Arten, zu sterben. Einen Weg für jedes Geschöpf.«
*
In dieser Nacht hatte Nottr einen seltsamen Traum.
Er sah das gewaltige Wolfsrudel durch ein Tal ziehen, und das gesprenkelte Tier in ihrer Mitte. Er konnte noch immer nicht erkennen, ob es Wolf oder Wölfin war. Aber es sah ihn an, und etwas an den Augen war ihm sehr vertraut. So vertraut – daß er aufwachte und eine lange Zeit in die Dunkelheit starrte, ohne herauszufinden, was ihn an diesem Traum so aufwühlte.
In der Ferne glaubte er, das Heulen eines Wolfes zu hören. Aber es mußte eine Einbildung sein, die der Traum heraufbeschworen hatte, denn die Wachen hoben nicht einmal den Kopf, um zu lauschen.
Unruhe erfüllte ihn und war so stark, daß er den Rest der Nacht nicht mehr schlafen konnte, obwohl er es so sehr versuchte, in der Hoffnung, diesen Traum noch einmal zu sehen und das Rätsel dieser Augen zu lösen.
Sie brachen vor Sonnenaufgang auf.
Als sie das schmale Bachtal verließen, sah Nottr in der Ferne wieder die Wölfe – eine Handvoll wie am Vortag. Und den ganzen Tag lang blieben sie in gleicher Entfernung.
»Kein Zweifel, die wollen etwas von uns«, brummte Nottr.
Auch Skoppr beobachtete die Wölfe wieder voll Unruhe, was dem Hordenführer nicht entging.
Doch nichts geschah, und als sie am Abend ihr Lager aufschlugen, sah Nottr, daß Cahrn nicht von der Seite des Schamanen wich und ihm zur Hand ging, wie Olinga früher.
In der Tat hatte Skoppr während des Marsches gesagt: »Ileen, du bist keine Kriegerin. Du
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