Die Barbaren
er?«
Skoppr starrte ihn an. Sein Gesicht war bleich, doch das konnte Nottr in der Dunkelheit nicht sehen.
Als der Schamane schwieg, fragte Nottr ungeduldig: »Nun?«
»Laß uns das Lager verlassen. Die Krieger brauchen meine Worte nicht zuhören.«
»Gut«, stimmte Nottr verwundert zu. Sie verließen den schützenden Felsüberhang und gingen ein Stück ins Freie. Die Nacht war wolkenlos und mondhell. Der Abmond hatte gerade begonnen.
»Daß das Leben deines kleinen Sohnes ohne Schatten ist, verdankst du ihr«, erklärte der Schamane.
Nottr schüttelte verwirrt den Kopf. »Was willst du damit sagen?«
»Sie hat sich für das Kind geopfert, Nottr«, sagte der Schamane mit zittriger Stimme.
Nottr wurde bleich. »Sie hat sich geopfert?« wiederholte er heftig. Er packte den Schamanen am Kragen seines dicken Fellmantels. »Weshalb erzählst du mir jetzt erst davon?«
Der Schamane versuchte sich von Nottrs Fäusten freizumachen.
»Weil ich deine Gewalttätigkeit fürchtete«, keuchte er.
»Und die fürchtest du jetzt nicht mehr?« fragte Nottr grimmig.
»Doch…« Er wand sich in Nottres Griff. »Laß mich los. Wie soll ich reden, wenn du mich erwürgst…?«
Nottr ließ ihn wütend los, daß er in den Schnee stürzte. Er zog seine Klinge.
Eine Gestalt hastete herbei und warf sich über den Schamanen. Sie rief flehend: »Nein… tötet ihn nicht! Ich bitte Euch…!«
Es war Cahm.
Skoppr schob ihn von sich. »Es ist gut… Cahrn. Er wird mich nicht töten, auch wenn ihm danach ist. Er weiß, daß ich ihm immer gute Dienste geleistet habe. Er wird darauf auch in Zukunft nicht verzichten wollen.«
»Vielleicht«, sagte Nottr drohend und bedachte Cahrn mit einem verwunderten Blick. »Hast du ihm beigebracht, so hochgestochen zu reden?«
»Nein.« Der Schamane richtete sich auf. »Er… er ist gegenwärtig nicht Cahrn. Aber es ist besser, wenn Urgats Krieger es nicht wissen. Ihre Furcht ist bereits von einem Ausmaß, das…«
»Wer ist Cahrn jetzt?« fragte eine neue Stimme.
Urgat war herangetreten und blickte unsicher auf Cahrn.
»Laßt uns später darüber reden«, bat Skoppr eindringlich und warnend und nickte auf das Lager zu, wo die meisten Krieger sich erhoben hatten und in ihre Richtung starrten.
»Ist wohl besser«, knurrte Urgat zustimmend. Er musterte Cahrn, der seinem Blick auswich.
»Aber über Olinga werden wir jetzt reden«, sagte Nottr drohend. »Und wenn ich es dir damit entreißen muß!« Er hob die Klinge.
Skoppr nickte. »Es ist gut… laß uns allein… Cahrn.«
Cahrn ging zögernd.
Urgat ging ebenfalls zum Lager zurück, und Nottr hörte ihn sagen: »Wenn ihr alle wach seid, können wir ja aufbrechen!« Was ihm lautstarke Flüche und Protestrufe einbrachte. Es mochte noch zwei oder drei Stunden währen, bis der Morgen kam. Doch Urgats Drohung war auch nicht ernst gemeint, denn der Mond würde in Kürze am Horizont verschwinden und in der Dunkelheit, die dann über dem Land lag, würde der Marsch ein unnötiges Risiko sein – nicht nur der Felsklüfte und Eisspalten wegen, sondern auch der Schneetiger und andern nächtlichen Räuber.
»Was ist mit Olinga geschehen?«
»Ich… hielt sie für tot«, erklärte der Schamane und mußte sich merklich einen Ruck geben für diese Worte.
»Ist sie es?« Nottres Stimme versagte fast bei dieser Frage.
»Ich glaube nicht… obwohl es… unglaublich ist. Steck deine Klinge weg, Hordenführer. Keiner von uns beiden will, daß du sie benutzt, auch nicht im Zorn…«
»Ich wäre nicht so sicher, Schamane. Was ist während meiner Abwesenheit geschehen?«
»Dein Sohn wurde in der Stunde des Wolfes geboren. Das ist die Mitternachtsstunde des vollen Mondes.«
»Das hast du gesagt. Was hat es mit Olinga zu tun?«
»Seit Tagen«, sagte der Schamane zögernd, »spürte ich eine Unruhe in den Wölfen, wenn ich sie fragte. Es war, als ob ihre Geister eigene Pläne hätten, die uns Menschen verborgen bleiben sollten…«
»Du hast uns nicht gewarnt.«
»Wovor?« Skoppr zuckte mit den Schultern. »Ich wußte nichts, und ich weiß noch immer nichts, obwohl meine Angst nun größer ist.« Er sah Nottr unsicher an. »Obwohl ich nicht genug weiß, habe ich Furcht, daß ich zuviel weiß.«
»Furcht vor wem?«
»Vor ihnen.«
»Ihnen…? Den Wölfen…?«
Der Schamane nickte ernst.
»Aber sie taten dir nichts. Du warst allein im Lager, als wir zurückkamen. Sie waren dort… mehr als hundert. Wir sahen es an ihren Spuren. Sie haben dir nichts
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