Die Bedrohung
Luftstreitkräfte mitgegeben hatten, und machte sich Vorwürfe, dass er seine kleine Digitalkamera nicht mitgenommen hatte. Er stand vor den Plänen und versuchte sich so viele Details wie möglich einzuprägen, während sein Freund ein Telefongespräch zu Ende führte.
Als Omidifar fertig war, kam er zu Shoshan an den Tisch. »Ein imposanter Bau … nicht wahr?«, sagte er.
Shoshan stimmte zu.
»Er enthält eine ganze Reihe von Sicherheitsnetzen«, erläuterte Omidifar und blätterte zur nächsten Seite um. »Die Decke ganz oben ist zwei Meter dick und enthält sechs ineinander verflochtene Schichten Bewehrungsstahl. Wenn die Amerikaner ihre Bunkerbrecher abwerfen, sind wir ziemlich sicher, dass schon diese erste Verteidigungslinie sie aufhalten wird.«
Shoshan war sich da nicht so sicher. Er hatte gehört, dass die Amerikaner ihre besten militärischen Köpfe eine neue Serie von bunkerbrechenden Bomben entwickeln ließen, denen diese Sicherheitsvorkehrungen nicht standhalten würden. Shoshan sah seinen Freund an. »Und wenn doch nicht?«
Omidifar zuckte mit den Achseln. »Wir haben drei weitere Schichten eingebaut, die die Bomben durchdringen müssten. Sie sind zwar nicht so dick wie die erste Schicht, aber das ist auch gar nicht notwendig. Die erste Ebene wird auch ihre stärksten Bomben aufhalten oder zumindest bremsen. Wenn doch eine durchkommen sollte, müsste sie auch noch die nächsten drei Schichten knacken. Jede davon ist einen Meter dick und ebenfalls mit verflochtenem Bewehrungsstahl verstärkt. Der einzige Weg, wie die Amerikaner diese Anlage zerstören könnten, wäre mit einer Atombombe, und das würden sie niemals wagen.«
»Was ist mit den Juden?«, fragte Shoshan. Mit der Zeit hatte er gelernt, eine gewisse perverse Freude dabei zu empfinden, in die Rolle eines Judenhassers zu schlüpfen.
Die Frage gab Omidifar ein wenig zu denken. Er war ein praktischer Mann, der nicht dazu neigte, antisemitische Parolen von sich zu geben. »Bei den Juden bin ich mir nicht so sicher. Ich war dafür, diese ganze Operation im Stillen durchzuführen, aber unser furchtloser Präsident verhöhnt unsere Feinde gern ein bisschen. Jetzt haben wir uns natürlich zur Zielscheibe gemacht.«
Shoshan lächelte und nickte. Seine Augen kehrten zu dem Plan zurück, und seine Neugier wurde aufs Neue entfacht – nicht als Spion, sondern als ein Mensch, den es immer schon brennend interessiert hatte, wie die Dinge funktionierten. »Wie habt ihr es angestellt, dass dieses ganze Gewicht getragen wird?«
Omidifar blätterte ein paar Seiten weiter und kam zu einem Blatt, das einen anderen Querschnitt der Anlage zeigte. »Wir haben im Grunde einen unterirdischen Wolkenkratzer gebaut. Die gesamte Struktur wird durch ein Stahlskelett gestützt.«
In diesem Moment kam ihm die Lösung. Shoshan hatte keinen Zutritt zum vierten Untergeschoss, wo der Reaktor und die Zentrifugen untergebracht waren. Er hatte angenommen, dass dieser Teil in das Grundgestein gebaut war. Von der Luft aus war die Anlage nur durch einen Atomschlag zu knacken, und obwohl man immer wieder martialische Töne hörte, hatte Shoshan doch das Gefühl, dass weder Amerika noch Israel diese Karte ausspielen würde. Isfahan war eine Stadt mit über einer Million Einwohner. Es kam einfach nicht infrage, eine Atomwaffe mitten unter so vielen Zivilpersonen einzusetzen. Wenn Shoshans Instinkt ihn nicht trog, würde jedoch auch kein Luftschlag notwendig sein. Etwas viel Einfacheres konnte diese Anlage zunichtemachen. Als Shoshan an jenem Abend die Pläne betrachtete, konzentrierte er sich vor allem auf die Größe und Stärke der verwendeten Stahlteile. Als er Omidifars Büro verließ, begann in seinen Gedanken ein ganz neuer Plan zu reifen. Shoshan war bereit, vom Spion zum Saboteur zu werden.
Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass es ausgerechnet die Zerstörung der Twin Towers war, die ihm schließlich die Augen für die größte Schwachstelle der Nuklearanlage öffnete. Er dachte an die Türme des World Trade Center nicht so, wie sie vor dem elften September die Südspitze von Manhattan überragt hatten. Er sah sie auch nicht als einen Haufen Schutt und Trümmer. Seine Gedanken konzentrierten sich auf jene fünf Sekunden, in denen die beiden Gebäude unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrachen.
Als er an diesem Abend von der Arbeit heimkam, konnte Shoshan nicht schlafen. Immer wieder sah er in seinen Gedanken das Bild der Wolkenkratzer, die in sich
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