Die Begnadigung
Mobiltelefon, und lass es nicht aus den Augen. Ruf morgen im Hilton, im Marriott und im Sheraton in der Washingtoner Innenstadt an und frag nach Giovanni Ferro. Das bin ich. Ruf Carl Pratt gleich heute Morgen von dem neuen Telefon aus an. Unternimm alles, damit Senator Clayburn nach Washington kommt. Wir übernehmen die Kosten. Sag ihm, es sei dringend, er erweist damit einem alten Freund einen Gefallen. Lass dich nicht abwimmeln. Keine E-Mails mehr, bis ich zu Hause bin.
Marco
Nachdem er in van Thiessens Büro einen kleinen Imbiss mit Sandwich und Cola eingenommen hatte, verließ er als Beifahrer in einer viertürigen Limousine, einem auf Hochglanz polierten grünen BMW, das Bankgebäude. Zur Sicherheit hielt er eine Schweizer Zeitung vor das Gesicht, bis sie die Autobahn erreicht hatten. Der Chauffeur hieß Franz und hielt sich für einen verkappten Formel-1-Fahrer. Als er hörte, dass sein Fahrgast in Eile war, verließ er die linke Spur nicht mehr.
32
U m 13.55 Uhr saß Joel Backman auf einem der verschwenderisch breiten Sitze der ersten Klasse einer Lufthansa 747, die soeben am Münchner Flughafen vom Flugsteig zur Startbahn rollte. Erst jetzt wagte er es, nach dem Champagnerglas zu greifen, das er schon seit zehn Minuten anstarrte. Als das Flugzeug vor dem Start noch einmal zu einer letzten Kontrolle hielt, war das Glas bereits leer. Kurz darauf lösten sich die Räder vom Asphalt, und Joel schloss die Augen. Endlich konnte er sich ein paar Stunden Entspannung gönnen.
Dagegen stand sein Sohn exakt zur selben Zeit, nämlich um 7.55 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit, unter solchem Stress, dass er am liebsten das Handtuch geworfen hätte. Wie sollte er mir nichts, dir nichts ein neues Mobiltelefon besorgen, Carl Pratt anrufen, im Namen einer nicht existierenden alten Freundschaft Gefallen einfordern und schließlich einen im Ruhestand befindlichen, zänkischen alten Senator aus Ocracoke, North Carolina, dazu bringen, alles stehen und liegen zu lassen, um in eine Stadt zurückzukehren, die er offenbar nicht ausstehen konnte? Ganz zu schweigen davon, dass er, Neal Backman, auch noch einen Job hatte und einen ziemlich vollen Terminkalender. Selbstverständlich war nichts davon so dringend wie die Rettung seines eigensinnigen Vaters, aber er hatte eine ganze Reihe von Mandantengesprächen und anderen wichtigen Angelegenheiten zu erledigen.
Als er Jerry’s Java verließ, fuhr er nicht ins Büro, sondern nach Hause. Lisa, die gerade ihre Tochter badete, war überrascht, ihn zu sehen.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Wir müssen miteinander reden, und zwar sofort.«
Er begann mit dem mysteriösen, in York, Pennsylvania, abgestempelten Brief und erzählte ihr alles, von dem Kredit über viertausend Dollar über das Smartphone bis zu den verschlüsselten E-Mails. Zu seiner Erleichterung nahm sie es gelassen.
»Du hättest mir davon erzählen sollen«, sagte sie mehr als einmal.
»Ich weiß, und es tut mir Leid.«
Keine Vorwürfe, kein Streit. Loyalität war eine ihrer besten Eigenschaften.
»Wir müssen ihm helfen«, stellte sie fest.
Neal umarmte sie. »Er zahlt das Geld bestimmt zurück«, versicherte er ihr.
»Um das Geld kümmern wir uns später. Ist er in Gefahr?«
»Ich glaube schon.«
»Okay. Womit fangen wir an?«
»Ruf im Büro an und sag, ich liege mit Grippe im Bett.«
Ihr Gespräch wurde in allen Einzelheiten von einem winzigen Mikrofon aufgezeichnet, das der Mossad in der Fassung einer Lampe versteckt hatte, unter der sie saßen. Es war an einen auf dem Dachboden versteckten Sender angeschlossen, der jedes ihrer Worte an einen Hochfrequenzempfänger übermittelte. Der stand etwa vierhundert Meter entfernt in einem wenig benutzten Büro, das kürzlich von einem Herrn aus Washington gemietet worden war. Dort hörte sich ein Techniker alles zweimal an und schickte dann eine dringliche E-Mail an einen Agenten in der israelischen Botschaft in Washington.
Seit Backman vor mehr als vierundzwanzig Stunden aus Bologna verschwunden war, waren die im Umfeld seines Sohnes versteckten Wanzen noch sorgfältiger überwacht worden.
Die E-Mail nach Washington schloss mit den Worten »JB kehrt heim«.
Glücklicherweise erwähnte Neal bei dem Gespräch mit Lisa den Namen »Giovanni Ferro« nicht. Unglücklicherweise nannte er jedoch zwei der drei Hotels: das Marriott und das Sheraton.
Backmans Heimkehr erhielt oberste Priorität. An der Ostküste waren elf Mossad-Agenten im Einsatz, die
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