Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
Seite Regierungsbehörden, auf der anderen Seite Lobbyisten saßen.
    Er bat den Fahrer, eine andere Straße zu nehmen, die erfreulichere Anblicke bot. Sie bogen in die Constitution Avenue ein und passierten das Washington Monument. Jahrelang hatte ihn Anna Lee, sein jüngstes Kind, gebeten, mit ihr im Frühling auf der Mall spazieren zu gehen, wie es die Väter ihrer Klassenkameraden taten. Sie wollte Mr Lincoln sehen und das Smithsonian besuchen. Immer wieder hatte er es ihr versprochen, bis sie plötzlich nicht mehr da war. Soweit er wusste, lebte Anna Lee jetzt in Denver und hatte ein Kind, das er noch nie gesehen hatte.
    Während sie sich dem Kapitol näherten, hatte Joel plötzlich genug. Dieser kurze Besuch in der Vergangenheit war deprimierend. Die Erinnerungen waren zu unangenehm.
    »Fahren Sie mich zum Hotel«, sagte er.
33
    N eal kochte die erste Kanne Kaffee. Dann ging er nach draußen und bewunderte von seiner Terrasse aus die Schönheit des Frühlingsmorgens.
    Falls sein Vater tatsächlich wieder in Washington war, schlief er um halb sieben bestimmt nicht. Am Abend zuvor hatte Neal die Nummern der Washingtoner Hotels in sein Telefon eingegeben, und als die Sonne aufging, begann er mit dem Sheraton. Kein Giovanni Ferro. Also das Marriott.
    »Einen Augenblick, bitte«, sagte die Telefonistin. Dann klingelte das Zimmertelefon.
    »Hallo«, meldete sich eine vertraute Stimme.
    »Marco, bitte«, sagte Neal.
    »Hier ist Marco. Grinch?«
    »Ja.«
    »Wo bist du gerade?«
    »Ich stehe auf meiner Terrasse und warte auf die Sonne.«
    »Was für ein Telefon benutzt du?«
    »Ein brandneues Motorola, das ich gestern gekauft und seitdem ständig mit mir herumgetragen habe.«
    »Dann ist es also sicher.«
    »Ja.«
    Eine Pause. Joel atmete schwer. »Schön, deine Stimme zu hören, mein Junge.«
    »Geht mir auch so. Wie war die Reise?«
    »Aufregend. Kannst du nach Washington kommen?«
    »Wann?«
    »Heute Vormittag.«
    »Klar. Jeder denkt, ich habe Grippe. In der Kanzlei wird mich also keiner vermissen. Wo und wann?«
    »Im Marriott in der 22nd Street. Komm um 8.45 Uhr in die Lobby, nimm den Aufzug zum sechsten Stock, und geh dann über die Treppe in den fünften. Zimmer 520.«
    »Ist das wirklich nötig?«
    »Vertrau mir. Kannst du ein anderes Auto nehmen?«
    »Ich weiß nicht. Keine Ahnung, wer …«
    »Lisas Mutter. Leih dir ihr Auto, aber pass auf, dass dir keiner folgt. Wenn du in die Stadt kommst, parkst du im Parkhaus an der Sixteenth und gehst zu Fuß zum Marriott. Achte auf eventuelle Verfolger. Wenn dir etwas Verdächtiges auffällt, rufst du mich an, und wir brechen die Aktion ab.«
    Neal sah sich in seinem Garten um, als könnten jeden Augenblick schwarz gekleidete Agenten auftauchen. Woher hatte sein Vater dieses ganze Geheimdienstzeug? Lag es vielleicht an den sechs Jahren Einzelhaft? Zu viele Spionageromane?
    »Hörst du?«, fragte Joel scharf.
    »Ja, klar. Bin schon unterwegs.«
     
    Ira Clayburn sah aus, als hätte er sein Leben auf dem Meer verbracht und nicht vierunddreißig Jahre lang im Senat gesessen. Er stammte aus einer Fischerfamilie, die seit über einhundert Jahren in Ocracoke auf den Outer Banks vor der Küste von North Carolina ansässig war. Ira hätte mit Sicherheit die Familientradition fortgesetzt, wäre nicht einem Mathematiklehrer in der sechsten Klasse seine außergewöhnliche Intelligenz aufgefallen. Nachdem ihn zunächst ein Stipendium für die Universität von North Carolina nach Chapel Hill geführt hatte, machte er seinen Master in Yale und erwarb schließlich in Stanford einen Doktortitel. Er lehrte in Davidson Wirtschaft, als ein Nachrücker für den Senat gebraucht wurde und die Wahl auf ihn fiel. Widerstrebend kandidierte er danach für eine volle Amtszeit und blieb die nächsten drei Jahrzehnte in Washington hängen. Mit einundsiebzig gelang ihm schließlich der Rückzug ins Privatleben. Als er den Senat verließ, verlor die Politik einen Geheimdienstexperten, der nicht zu ersetzen war.
    Nur aus Neugier erklärte er sich bereit, Carl Pratt, einen alten Freund aus dem Tennisklub, ins Marriott zu begleiten. Soweit er wusste, war die »Neptun«-Affäre nie aufgeklärt worden. Allerdings hatte er in den letzten fünf Jahren auch keinen Kontakt mehr mit Insiderkreisen gehabt. Stattdessen hatte er so gut wie jeden Tag mit seinem Fischerboot die Gewässer zwischen Hatteras und Cape Lookout unsicher gemacht.
    Gegen Ende seiner Zeit als Senator hatte er beobachtet, wie Joel Backman

Weitere Kostenlose Bücher