Die Begnadigung
mehr.«
»Worüber reden?«, wollte sie wissen.
»Würdest du uns einen Kaffee kochen, Donna?«, fragte Joel liebenswürdig.
»Du kannst mich mal.«
»Dann eben keinen Kaffee.«
Carl rieb sich nachdenklich das Kinn. »Donna, ich muss unter vier Augen mit Joel sprechen. Es geht um alte Kanzleigeschichten. Ich erkläre es dir später.«
Sie warf den beiden einen vernichtenden Blick zu und stapfte die Treppe hinauf, während sich die Männer ins Arbeitszimmer zurückzogen.
»Möchtest du was trinken?«, fragte Carl.
»Ja, irgendwas Starkes.«
Carl goss zwei doppelte Single Malts ein. Ohne den Versuch eines Lächelns reichte er Joel ein Glas. »Cheers.«
»Cheers. Schön, dich zu sehen.«
»Kann ich mir vorstellen. Sah ja so aus, als würdest du für die nächsten vierzehn Jahre niemanden zu Gesicht bekommen.«
»Du hast wohl die Tage gezählt?«
»Joel, wir versuchen immer noch, das Chaos zu beseitigen, das du hinterlassen hast. Eine Menge anständiger Leute hatte deinetwegen zu leiden. Tut mir Leid, wenn Donna und ich nicht gerade erfreut sind, dich zu sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir allzu viele Leute in der Stadt vor Begeisterung um den Hals fallen.«
»Die meisten würden mich wohl am liebsten abknallen.«
Carl warf einen unsicheren Blick auf seine Pistole.
»Darum kann ich mich jetzt nicht kümmern«, fuhr Joel fort. »Natürlich würde ich einige Dinge am liebsten ungeschehen machen, aber das geht eben nicht. Im Moment laufe ich um mein Leben, Carl, und ich brauche Hilfe.«
»Vielleicht will ich damit nichts zu tun haben.«
»Das kann ich dir nicht verübeln. Aber du musst mir einen großen Gefallen tun. Wenn du mir jetzt hilfst, siehst du mich nie wieder, das verspreche ich dir.«
»Das nächste Mal schieße ich.«
»Wo ist Senator Clayburn? Sag mir, dass er noch am Leben ist.«
»Ja, und wie. Du hast Glück.«
»Wie das?«
»Er ist hier, in Washington.«
»Warum?«
»Hollis Maples geht nach einhundert Jahren im Senat in den Ruhestand. Gestern war eine Feier, bei der all die Veteranen vertreten waren.«
»Maples? Der war doch schon vor zehn Jahren ein Tattergreis.«
»Dann kannst du dir ja denken, in welchem Zustand er jetzt ist. Er und Clayburn waren Busenfreunde.«
»Hat du mit Clayburn geredet?«
»Ja.«
»Und?«
»Könnte schwierig werden für dich, Joel. Er wollte nichts von dir hören. Er würde dich am liebsten wegen Hochverrats hinrichten lassen.«
»Mir egal. Sag ihm, er kann einen Deal einfädeln, bei dem er als echter Patriot dasteht.«
»Worum geht es?«
»Ich habe die Software, Carl. Das ganze Paket. Heute Morgen aus dem Tresor einer Bank in Zürich geholt, wo sie seit mehr als sechs Jahren lag. Wenn du mit Clayburn morgen früh in mein Hotelzimmer kommst, zeige ich sie euch.«
»Ich will sie gar nicht sehen.«
»Willst du doch.«
Carl leerte sein Glas in einem Zug. Dann ging er zur Bar, füllte es und nahm einen weiteren Schluck, der weniger trinkfeste Zeitgenossen umgeworfen hätte. »Wann und wo?«
»Im Marriott in der 22nd Street. Zimmer 520. Neun Uhr morgens.«
»Warum, Joel? Warum sollte ich mich da hineinziehen lassen?«
»Um einem alten Freund einen Gefallen zu tun.«
»Ich schulde dir keinen Gefallen. Und mein Freund bist du schon lange nicht mehr.«
»Bitte, Carl. Bring mir Clayburn, und bis morgen Mittag bist du aus der Sache heraus. Ich verspreche dir, dass du mich nie wiedersiehst.«
»Klingt verlockend.«
Joel bat den Fahrer, sich Zeit zu lassen. Sie rollten durch Georgetown, die K Street mit ihren bis spät geöffneten Restaurants und Bars, die voller Studenten waren. Es war der 22. März, und der Frühling lag in der Luft. Das Thermometer war auf achtzehn Grad geklettert, da hielt es die jungen Leute selbst um Mitternacht nicht in ihren Wohnungen.
An der Kreuzung zwischen I Street und 14th Street verlangsamte das Taxi sein Tempo, und Joel konnte in der Ferne sein altes Bürogebäude in der New York Avenue erkennen. Irgendwo im obersten Stock hatte er einst über sein kleines Reich geherrscht, umgeben von Speichelleckern, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablasen. Er sehnte sich nicht zurück. Stattdessen erfüllte ihn bei dem Gedanken an das wertlose Leben, das er geführt hatte, tiefes Bedauern. Immer auf der Jagd nach Geld hatte er sich Freunde, Frauen und all die Vergnügungen gekauft, die sich jemand seines Kalibers nur wünschen konnte. Sie fuhren weiter, vorbei an den zahllosen Bürogebäuden, in denen auf der einen
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