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Die beiden Seiten der Münze (German Edition)

Die beiden Seiten der Münze (German Edition)

Titel: Die beiden Seiten der Münze (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Ladan
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Überhaupt bewegte sich Therese mit einer Grazie, die sie selbst nie hatte – leider.
     
    Je näher sie dem Stephansplatz kamen, desto mehr hob sich Lynn's Stimmung wieder. Sie freute sich sehr über den kleinen Ausflug ins unterirdische Wien.
     
    Im Büro hatte sie ganz begeistert davon erzählt, war damit aber auf wenig Gegenliebe gestoßen. Gabriela hatte gelacht und Lynn für verrückt erklärt. „Da hast du die Gelegenheit in einem Lokal oder einer Disco einen hübschen Kerl abzuschleppen und du willst stattdessen in der Kanalisation herumkriechen?“
     
    Niemand von ihren Kollegen verstand ihre Vorliebe für das Dunkle, Mystische.  Die hatte sie schon immer gehabt. Als Kind war ihre Welt bevölkert von Elfen und Kobolden, Geistern und Dämonen gewesen. Je älter sie geworden war, desto mehr hatte sie sich für Fantasy und Märchen interessiert, sie konnte ganz in diese Welten hinabgleiten und fühlte sich dort bei weitem mehr zu Hause als in der realen Welt. Lynn's Mutter hatte immer behauptet, daran seien ihre irischen Gene schuld, in Österreich sei man um einiges vernünftiger.
     
    Lynn konnte sich an ihren Vater kaum mehr erinnern, er hatte sie und ihre Mutter verlassen als sie sechs Jahre alt war. Er war Ire, ein großer, charismatischer Mann und von aufbrausendem Charakter. Lynn konnte sich nur dunkel an die Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern erinnern. Nachdem ihr Vater weg war, hatte sie sich oft gefragt warum ihm nicht wenigstens an seiner Tochter genug gelegen hatte, um sich ab und zu bei ihr zu melden. Lynn hatte nie wieder von ihm gehört.
     
    Außer einigen Fotos hatte Lynn nur wenig Erinnerungsstücke an ihn außer einer Schachtel mit Andenken wie einer Brille, einem Uniformhemd (sie hatte nie herausgefunden, zu welcher Art Uniform es gehört haben mochte) und einigen Briefen und Ausweisen. Besonders interessiert hatten sie allerdings immer einige Bücher, die er zurück gelassen hatte. Es waren englische Bücher zu den Themen Okkultismus, schwarze Magie, Alchemie und Zauberei.
     
    Ihr Exmann hatte für solcherlei Unsinn wenig übrig, was ihre Hinwendung zu diesen Themen aber – und sei es nur aus Trotz – nur weiter bestärkte. Wenn das alltägliche Leben schon nicht viel zu bieten hatte, so konnte Lynn sich wenigstens in ihrer Phantasie in ein dunkles und aufregendes Leben begeben, was sie auch leidenschaftlich gerne tat. Je schlechter ihr Eheleben wurde, desto  öfter und intensiver versuchte sie sich aus der Realität zurückzuziehen. Dieser Weg erschien ihr leichter zu sein als sich den Eheproblemen zu stellen, die sich daraufhin nur noch verstärkten. Nach langen frustrierenden Ehejahren stellte Martin fest, dass andere Frauen bei weitem pflegeleichter als seine eigene waren. Das führte dann zum endgültigen Ende der Ehe. Die Trennung war ihr weit weniger schwer gefallen als man hätte annehmen können. Martin war egozentrisch und bevormundend gewesen und Lynn weinte ihm keine Träne nach. Der einzige diesbezügliche Wermutstropfen war ein noch immer andauernder Streit vor Gericht das gemeinsame eher bescheidene Vermögen betreffend.
     
    Seitdem waren Männer schon lange kein Thema mehr. 
     
    Viel schlimmer als die Trennung von Martin war die Einsicht gewesen, dass sie nicht mehr viele Chancen auf ein Leben mit Partner, Familie und Kindern haben würde. Lynn kam nicht leicht in Kontakt zu anderen Menschen und es war aus ihrer Sicht eher unwahrscheinlich dass sie einen geeigneten Partner treffen würde.
     
    Therese kannte Lynn gut und verstand diese Sorgen. Lynn hatte schon seit ihrer frühesten Jugend eine Familie gewollt. Sie wusste dass Lynn damit schwer zu kämpfen hatte, unter anderem deshalb hatte sie die Führung durch die Katakomben vorgeschlagen. Das würde Lynn vielleicht etwas ablenken.
     
    Pünktlich fanden sich die beiden im Stephansdom ein. Nachdem die Karten für die Führung gekauft waren, warteten sie in der Nähe einer Gruppe von amerikanischen Touristen am Eingang zu den Katakomben. Lynn war schon ein wenig aufgeregt – eigentlich war sie ziemlich ängstlich und fragte sich selbst nun, ob sie die Nerven für all die Gebeine unter der Erde hätte. Therese nickte ihr ermutigend zu als ihr Guide zu ihnen trat. Er war ein herzlicher und beleibter älterer Herr, der die Gruppe sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch begrüßte. Er blinzelte lustig unter seinen weißen, buschigen Augenbrauen hervor und zwinkerte vor allem den weiblichen Touristen immer

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