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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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inklusive die Geschlechtsteile, all die Hodengehänge und fürchterlichen Penisse mit der knospenden Eichel und die faltigen Vaginas und Fotzen. Es ist aber nichts von Karikatur im Spiel, nichts von Verhöhnung, nichts von Demaskierung, nur die nackte Wahrheit in der leiblichen Hinfälligkeit oder wulstigen Dickleibigkeit, aber warum nur? Angesichts dieser Aktdarstellungen denkt man, daß die Aktmalerei der ganzen Kunstgeschichte Idealmalerei ist oder Reizmalerei, Verführung und Feier der Schönheit, vor allem aber, daß der alte verbrauchte Körper einfach nie Gegenstand der Kunst gewesen ist, es sei denn bei einem George Grosz, doch da ging es um Sozialkritik im Hurenmilieu, um Denunziation. Der verbrauchte Körper wird nicht ausgestellt, vielleicht bei den Nudisten, wenn auch nicht als Aktmodell, oder im KZ vor dem Gas.
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    Zu meiner überhohen Einschätzung des Dichterberufs und der dementsprechenden heftigen Verachtung der Vulgarisierung sprachreimerischer Tätigkeiten wie Rap und Slam fällt
mir ein: daß ich das Dichten als Privileg einer Elite zu betrachten erzogen worden bin. Gehörten denn nicht die großen Dichter der Klassik und Romantik und der europäischen Moderne den noblen oder doch bildungsbürgerlichen Kreisen der herrschenden besitzenden Klasse an? Es ist meine Erziehung, es ist mein Herkommen, es ist mein Klassenbewußtsein, das mir dieses Elitedenken eingibt, nun, auch meine Generation. Nur nicht der Sturm auf die Bastille solcher Vorrechte. Hier meine Beschränkung. Überheblichkeit.
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    Ach, wie mich bei den Action Painters die subtile Befleckung der leeren Leinwand und dann das Kontinentwerden, die Inselgeburten aus dem Nichts, die wunderbaren Farbrauschkräfte und sensiblen Nuancierungen ergriffen haben. Weil es mir zutiefst entsprach, Geburt der Schönheit aus dem Bade des Nichts. Selbstwerdung auf Papier und Leinwand. Wahrheit im Gekräusel oder Schaume. Vorführung von Genesis ohne Ende. Wahrlich ohne Fabel und Faden – Ich .
    Neulich hier in meinem Viertel von einer Vorübergehenden (la passante), die ich kaum wahrgenommen hatte, alarmiert und verzückt worden, ich erriet nicht einfach den schönen Leib und die einzelnen Körperformen, sondern die Haut- und Fleischbeschaffenheit, das Anfühlen derselben, sie waren nicht einfach vollkommen in meinem Sinne, sondern das schönste Versprechen, Entsprechen für den alten Adam in mir, sie waren Wohlklang und auf mich zugeschnittene Liebesgaben, sie waren Glücksinbegriff oder so ähnlich, fast Taumel, obwohl die Frau überhaupt nicht provokant gekleidet war und nur überaus natürlich daherging, doch die Physiognomie des Leiblichen schlug als Person durch und erreichte mich, nun, wie eine Offenbarung, es hätten nur Termini wie die aus den Psalmen, aus dem Hohelied des Alten
Testaments ausgereicht, würde ich nach Worten für die Wucht der Begegnung und meiner Bewunderung, die schon fast in Anbetungsgefühle hinüberglitt, gesucht haben; das Schönste. Unwiederbringlich. Der erste und der letzte Blick, wie einer es für die Baudelairesche unbekannte Passantin formuliert hat.
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    Zurück aus der Schweiz und kurz darauf in der Notfallstation des Spitals Saint-Joseph, wohin mich ein Notfallarzt nach einer durchhusteten Nacht und mit Fieber per Ambulanz einliefern ließ in der Befürchtung, es könnte sich um eine Lungenentzündung handeln und Schlimmeres.
    In langen Abständen wurde ich von liebenswürdigen weiblichen und männlichen Helfern in die Untersuchungsabteilungen verbracht und dann wieder auf einem Gang stillgelegt. Frisch hätte gesagt: Ich weiß jetzt, wie es ist mit dem letzten Gang. Ich dachte auch an eine Generalprobe, hatte jedoch nicht ernstliche Befürchtungen, wenn ich mir auch sagte, so könnte es ausgehen.
    Gegen Mitternacht kam ich noch zum Scannen der Lungen ins Rohr, das war der Abschluß der Untersuchungen. Worauf mich zu meinem größten Erstaunen eine bis dahin nicht gesehene Ärztin – nun, es hatte inzwischen ja der Schichtwechsel stattgefunden – an meiner Bahre besuchte mit dem Bescheid, ich werde entlassen und gleich mit der Ambulanz heimgefahren werden.
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    Jetzt bei dem herrlichen, im Grunde noch sommerlichen Frühlicht ist die Stadtdurchquerung berückend und mehr als nur ein Vergnügen. Es sind nicht nur die wechselnden

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