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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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fähig ist, sich ihr im Fleische zu vereinen, also zu vermählen. Was zur Annullierung der Ehe führt und in den Augen nicht nur der Familienangehörigen, sondern der ganzen Stadt eine Schande ist, eine Schmach. Ein Fluch. Impotenz aus Liebe. Die junge Frau, von Claudia Cardinale gespielt, ist die Reinheit in Person, die reine Schönheit, Quellwasser, unberührt und wohl für die Mehrheit der Männer eine zu kostende Frucht. Nicht für den Helden. Man weiß nicht recht, ist er nicht doch ein wenig weibisch? Nein, er ist gewissermaßen kastriert vor Liebe. Sie ist ein Engelwesen in seinen Augen, er kann das auch in ihr schlummernde mütterliche Verlangen nicht stillen, nicht befriedigen, insofern ist er ein Verräter an ihr. Was mich interessiert, ist – über meine Maria-Story hinaus – der brüllende Anteil Fleischeslust oder purer Sexualität in der Liebe, diese Folter der Fortpflanzungsbestie in uns, die anscheinend nicht zu sublimieren ist. Und letztlich im Widerstreit steht mit der Innigkeit des anderen Vereinigungsstrebens.
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    Wenn ich abends, etwa an einer Bushaltestelle, in beleuchtete Wohnungsfenster der so schönen pariserischen Bürgerhäuser starre, gerate ich in neidvoll träumerische Andachtsstimmungen, als geschähe in jenen Innenräumen das Schönste und alles, was mir unbehaustem Außenseiter abgeht. Dabei weiß ich wohl, daß in den verborgenen Intérieurs ebenso Langeweile und Haß herrschen und die Rituale des Immergleichen ablaufen mitsamt den menschlich verpaßten Gelegenheiten unter den Insassen, warum nur mein Neid, warum Wunschträume und Wehmut? Ist es, weil ich es mir zutiefst wünsche, das Miteinander, das Familienleben, das Aufgehobensein in liebendem Kreise? Weil ich es nie gehabt, nur immer entbehrt habe. Nie gehabt das liebende Vertrauen der Familienangehörigen untereinander, nie den Austausch, nie den Schutz. Nie Muße und Freiheit für das eigenste Werden und Tun innerhalb des Gesicherten. Nicht in der Kindheit und Adoleszenz und auch später nie in meinen eigenen Ehen, weil ich innerlich gejagt oder bedrückt war aus lauter eigenen Anforderungen, die ich wie der Hund den Knochen in Sicherheit zu bringen suchte, mich abwendend. Oder in wildernde Phantasie von einem anderen Leben verstrickt war. Was ich beim Anblick erleuchteter Fenster fremder Wohnungen beträume, ist wohl Wunschdenken: von einem anderen besseren schöneren Leben in gegenseitiger Achtung und Liebe.
    Es ist immer das andere Leben.
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    Am Vormittag wars zwischendurch sonnig gewesen, und danach habe ich den Tag zu Hause verplempert, obwohl ich ein bißchen telefoniert und in Millers Rimbaud-Buch, Vom großen Aufstand , gelesen habe, mit gemischten Gefühlen, weil ich Millers wilde philosophische Verkündigungen, typische Privatweltanschauung, mit tausend Wissensverwei
sen auf eine das Thema einkreisende Familie verwandter Geister, nicht sonderlich mag, es ist mir zu gewaltsam, zu anklägerisch, zu persönlich, falsch ausgedrückt – wenn ich untergründig auch mit ihm einig gehe. Dabei mußte ich immer an die große Spinne denken, die ich unter einem übergestülpten Glas gefangen halte, bis die Concierge oder ihr Laub rechender Gemahl sie mir vom Leibe schafft, morgen werde ich darum bitten. Ich hatte gedacht, da liegt ein welkes Blatt, und merkte erst im letzten Moment, daß es eine Spinne war, die in völliger Unbeweglichkeit mit den gespreizten hackigen Spinnenbeinen da am Boden lag, und tottreten wollte ich sie nicht, aber vor einer Berührung hatte mir gegraust, und als ich auf den Einfall mit dem Glas kam, nahm ich allen Mut zusammen und setzte sie gefangen, und dabei kam sie in Bewegung und flatterte geradezu mit den langen zackigen Beinen. Ich hatte sie eines Morgens beim Aufmachen der Fensterläden erstmals entdeckt, als sie geradezu vor meiner Nase wie aus dem Nichts heruntergeflattert war, doch glaubte ich sie ausgesperrt zu haben, und nun war sie da und ist immer noch da unter dem Whiskyglas, und ich denke, daß sie mich hört, wenn nicht beobachtet und daß ich sie quäle mit dem Sauerstoffverlust und dem Aushungern, ich bin wie hypnotisiert von der gefangenen großen Spinne gleich neben der Eingangstüre.
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    Scheußliche Tagverbringung, und vielleicht ist die ganze Angst auch die Furcht, ich fände nicht in das Buch zurück, weil

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