Die Belagerung der Welt - Romanjahre
zusammen mit Goldschmidt. Wenn ich in die verhältnismäÃig neue Wohnung Montparnasse zurückkehre, meist spät in der Nacht, wartet keiner auf mich. Am Mittwoch kommt Henning, und am Samstag gehts nach Wien, Graz, Klagenfurt. Und jetzt ist Pfingstsonntag, und auf dem kleinen Beistelltisch sind die Pfingstrosen in einer derart verknitterungsreichen Pracht aufgegangen, daà es mir den Atem verschlägt vor Schönheit. Ich bin gern abgereist aus Deutschland und gern zurückgekehrt und fluche dennoch dem Alleinsein.
Es ist, wie es ist. Ich kam auf Brigitte zu sprechen, weil ich ihr Einsamkeitsleiden verstehe und es kaum fassen kann, daà wir so ahnungslos, so jung begannen und uns ins Leben wie in ein Vergnügen geworfen haben, was natürlich nicht stimmt.
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Seit nun schon langem sehe ich diesen bärtigen, unter einer Kapuze auch bei heiÃem Wetter verhüllten, bedrohlichen jungen Menschen auf dem Boulevard Montparnasse unter einer Tür Posten beziehen, ja er wirkt wie ein Torwächter oder Tempelwächter, er steht da in seiner geballten Finsternis, ein Obdachloser, ein Heimatloser, ein verirrtes Glied der Gesellschaft, einer von weither. Er ist einschüchternd, ich habe mir angewöhnt, ihn zu grüÃen, ihm zuzunicken. Sich den dazugehörigen Hintergrund mitsamt Herkommen auszudenken scheint nicht nur unmöglich, sondern wie Lästerung. Man möchte einen Bogen um so einen machen und tut es auch. Wie es in ihm aussehen mag? Und wir gehen unseren Geschäften und Vergnügen nach.
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In zwei Tagen der Geburtstag der Schwester. Fiel mir ein, daà ihr hochmütiges Sich-Abgrenzen von der ganzen Bernerei, zum Beispiel im Sprachlichen, ich meine unter Vermeidung dialektaler Wendungen neuester Färbung, unter strikter Vermeidung solcher Gemeinmachung, mit dem Wunsch nach einem inneren Exil zu tun hat, nicht nur mit Mehrseinwollen. Da lebt sie ein langes Leben lang (mit Ausnahme des jugendlichen Florenzaufenthalts zu Meisterkursen bei einem Maestro Scarpini, wenn ich nicht irre) in der Berner Altstadt mehr oder weniger im Dunkeln zusammen mit dem Ausländer Luciano, der nach wie vor nur italienisch spricht, wenn er auch von dem heimatlichen Nachkriegsitalien nurmehr eine blasse Erinnerung haben dürfte; lebt sie unweit des Konservatoriums, wo sie unterrichtet hat, als eine Art komische Alte oder eine verwegen gekleidete ältere Dame, je nachdem; lebt sie als lebensgroÃe Prätention ihrem unerfüllten inneren Wunschleben oder Traumleben â einer Einbildung â, sowohl angepaÃt wie unangepaÃt, nennen wir es nie wirklich ausgeschlüpft aus der frühen Raupenexistenz und der hohen Selbsteinschätzung, eine Eigenerfindung auch sie, ein Schiff voller Segel, eine Musikverrückte, Liebesvertrackte, ein in die hohen Jahre gekommenes Kind, eine Schwester.
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Beim Wiederaufnehmen des Nagels im Kopf . Gestern Il bell'Antonio von Mauro Bolognini wiedergesehen. Es ist ja nicht nur die aus höchster oder falscher Liebe herrührende »Impotenz«, was intrigiert oder auch anrührt, es ist auch â ich hatte es vergessen â die weibliche Verführung und Disponibilität, die geradezu massive, beinah bestialische Sexualität des Weibchenwesens, es gibt Szenen â ich hatte sie vergessen â, wo irgendwelche Politiker oder Notabeln aus Catania (das Ganze spielt ja in Catania) bei einem Empfang in einem Privathaus oder besser Palazzo eine Anzahl
anziehender junger Frauen auf den Knien oder auf Sofas betatschen und vernaschen, man weià nicht, sind es bestellte Freudenmädchen oder Frauen aus deren Kreisen, sie wirken nicht nuttig, nuttig ist der obszöne Zugriff und die Verbrauchsherrschaft seitens der Männer, doch wirken die Frauen wie fleischfressende Pflanzen, Verschlingerinnen, als wäre einzig die in einer jeden steckende Gebärerin und Fortpflanzerin von Bedeutung, die Fruchtbarkeit, die Fortsetzung der menschlichen Art; und entsprechend wichtig bis zentral ist die virile Potenz â das Fehlen derselben eine Schmach, ein Fluch. Und ebendiesen Fluch trifft den von Mastroianni gespielten jungen Helden, der der ihm zugedachten Ehefrau aus besten und reichsten Kreisen, eine an sich arrangierte Ehe, in einer Weise der Anbetung verfallen war, daà er sie nicht zu nehmen, nicht zu entjungfern, nicht zu schwängern imstande ist, mit anderen Worten: nicht
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