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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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ausgegangen und eingekehrt). Zuletzt auf der großen Terrasse zu einem Abschiedstrunk gesessen mit Blick auf die lagernden Leiber der Ewigen Stadt und die Kuppeln – das Institut bietet den höch
sten Blick über Rom. Ich schaute auf, weil mir die hellen, wie Grüße klingenden Vogellaute unvertraut vorkamen, und sah die vielen Dohlen über mir kreisen, die Lieblingsvögel, natürlich bezog ich sie auf mich, es war ja ein unverhofftes kleines Wunder. Ja, wir logierten beide in der Villa Maraini auf der Direktorenetage, wir frühstückten beide in der altvertrauten Bar Via Ludovisi wie vor 50 Jahren (damals zusammen mit Massimo Cavalli), wir fuhren jeden Tag mit dem kleinen Bus 116 in alle Richtungen der Stadt, am ersten Tag ins Centro storico, Piazza Colonna, Pantheon, Piazza Navona, Campo de' Fiori etc.; einmal zur Engelsburg und zum Vatikan, einmal auf den Monte Gianicolo und Trastevere etc., natürlich auch auf die Piazza del Popolo usf. Und aßen und tranken in vielen Trattorien, und manchmal waren die holprigen Pflasterstraßen so eng, daß man im Stein unterging und ersoff, und ich merkte, daß die Stadt für den Alten, der ich geworden bin, beschwerlich zu werden beginnt. Und Skwara mit seiner schusseligen Geschäftigkeit und seiner nimmerendenden Suada, voller Wissen, ist anzufügen; ich rief, heilig ist Skwara in seiner beschaulichen, schaukelnden Gangart, heilig ist sein nimmerendender Kommentar zu allem und vor allem über sich selber, dies am liebsten, heilig in seiner überwältigenden Abgelenktheit und Unzuverlässigkeit, heilig, heilig, rief ich, und er lachte sein kindlich stolzes Lachen, wie kann einer so zerstreut und gleichzeitig reiseführerisch kompetent und gewieft sein. Die ersten Tage war es beißend kalt und eisig naß, römisches Winterwetter; danach kalt und sonnig. Skwara sprach immer vom Weißwurstpapst, und am letzten, dem Abreisetag, ist er früh morgens zu Fuß in den Vatikan gerannt, um für seine kranke, hochbetagte Mutter eine Messe kaufen zu gehen, während ich ein bißchen um die Kioske der Veneto und durch das alte Revier von damals schlich, immer in der Hoffnung, es möge sich etwas melden in mir, hochstei
gen, da mir ja bewußt war, wie ich damals vor nun wirklich 50 Jahren in einer Art Dauerrausch vor Hochgestimmtheit, umgegangen war, und es ließ sich einfach nichts mehr in mir mobilisieren, nichts von der damaligen Verzückung, nichts von der Dankbarkeit, nichts von der glücklichen Weltverlorenheit und unterirdischen Panik und Einsamkeit; es ließ sich nichts hochtrommeln, wie sehr ich auch auf die Portale und Fassaden und Trümmerbrocken und in die tragende Luft voller Weltverkehr starren mochte. Schön wars in dem Volkslokal neben dem protestantischen Friedhof Nähe Porta Paolina, wenn ich nicht irre, schön und dämmrig und heilig vor Dankbarkeit, man geht ja hier nicht nur durch die vergangene Größe, sondern durch einen Anfang von allem, Anfang der gerade noch erinnerbaren Menschheit, durch Menschheitsfrühe, durch die Schnittstelle zwischen Altertum und Christenheit; und in dem angenehm dämmrigen Volkslokal aß ich eine Minestra und danach flachgegrillte Würste und bitteres Gemüse, dazu wie immer den weißen Wein aus der Gegend, vielleicht ist das Wohlgefühl in den Tavernen das einzige, das sich gleichgeblieben ist und durch das ich noch mit jener frühen Lebenszeit korrespondieren kann.
    Frage mich, was Maria damals für mich bedeutet hat. Ob wohl die Lektüre von Canto heute weiterhilft? Ja, da gab es durch das Portal einer Kirche Einblick auf Bramantes Tempietto, mustergültiges Kleinod. Und sonst? Ich ließ mich einfach angehängt an die Lokomotive Skwara durch mein Rom von damals, wie ich hoffte (weil ich es wiederzubeleben wünschte), ziehen zerren reißen, ohne mitgerissen zu werden, ich sprach nur immer von dem beschwerlich zu begehenden Steinbruch. Und im Grunde wünschte ich mich zurück nach Paris.
    Am Nachmittag nach dem morgendlichen Ausflug habe ich mich immer hingelegt mit Blick auf den hohen Himmel über
der Terrasse, erschöpft. Es ließ sich nichts mobilisieren in mir, nichts Nennenswertes von damals, nur das Gefühl von tiefer Heimatlosigkeit, das ich bei allem Überschwang auch damals vor nun 50 Jahren empfunden haben muß, denn dieser Stadt kann man nicht angehören, man kann sich durch ihren

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