Die Belagerung der Welt - Romanjahre
einzuhandeln, und jetzt muà ich noch die Wäsche wegbringen oder holen, dann telephonieren, dann: Soll der Hund mit oder nicht ⦠das ewige Dilemma, zermürbend. Der Tag zerhackt.
Das verrottet doch alles. Jetzt muà eine Wohnung her.
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Stipendien- und Darlehenskasse der Universität Bern
An den Universitätsverwalter
Sehr geehrter Herr Verwalter,
zunächst habe ich mich zu entschuldigen, daà ich auf Ihre eingeschriebene Ankündigung des betreibungsrechtlichen Inkassos meiner Studiendarlehen so lange nicht geantwortet habe. Ich war konsterniert und sah zuerst keine Möglichkeit zu irgendeinem Vorschlag oder einer MaÃnahme, die die Betreibung hätte aufhalten können. Ich habe lediglich den Sachverhalt nach einiger Zeit meinem Freund Professor Paul Hofer mitgeteilt. Das war alles. Zudem war ich in dieser ganzen Zeit immerzu vergrippt und fiebrig und pillenschluckend und also ohnehin nicht ganz präsent. Jetzt erst bin ich wieder so weit gesund, daà ich meine Arbeit und so und so viel Anstehendes wieder aufgenommen habe. Jetzt will ich mich auch ausführlich zu meinem »Fall« äu
Ãern. Ich bitte Sie nochmals, mein Schweigen zu entschuldigen, und ich danke Ihnen herzlich, daà Sie die Betreibung â offenbar â zurückgezogen haben.
Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich Ihnen in einem früheren Schreiben meine Entwicklung seit Abschluà der Studien skizziert. Sie werden in Erinnerung haben, daà ich nach kurzen Assistentenjahren mich der Schriftstellerei zugewandt habe. Ich lebe heute als freier Schriftsteller, das heiÃt: Ich verdiene mir mit Kunstkritik gerade so viel, wie ich für meinen persönlichen Lebensaufwand (unter bescheidensten Bedingungen) und für meine Familie brauche. Den gröÃeren Teil meiner Zeit verwende ich für meine literarischen Projekte. Ich möchte hier noch einmal wiederholen: Ich bin keineswegs, was man als gescheiterte Existenz bezeichnen könnte, ich habe lediglich die von meinen Studien her vorgezeichnete Karriere verlassen und einen künstlerischen Beruf gewählt. Und ich habe mir als Schriftsteller wie als Kunstkritiker einen Namen gemacht und auf beiden Gebieten »eine weitere Zukunft vor mir«. Was ich aber notgedrungen aufgegeben habe, ist das, was man im bürgerlichen Verstand als Besitzbildung und Sicherheitsstreben bezeichnen mag. Ich lebe tatsächlich »von der Hand in den Mund«, das heiÃt, was ich verdiene, sei es durch Kritik oder sonstige Veröffentlichungen oder Radiosendungen, verbraucht sich monatlich. Seit einigen Monaten bin ich geschieden. Ich habe mich verpflichtet, allmonatlich 1000 Franken für die Kinder aufzubringen, eine Auflage, der ich mich strikt nachzukommen bemühe. Im Grunde ist weder für Anschaffungen noch für Abzahlungen etwas von meinem Einkommen übrig. Neuerdings wurde ich zudem für eine gröÃere Bankschuld (die auch aus meiner Studienzeit datiert) betrieben. Ich muÃte Vorauszahlungen für eine gewichtige Auftragsarbeit erwirken, um die Pfändung verhindern zu können â denn zu beschlagnahmen und in
Geld umzuwandeln gibt es bei mir nichts. Das ist meine Situation. Sie werden begreifen, daà ich Ihrer Forderung fassungslos gegenüberstand. Meine künstlerischen Leistungen honorieren sich eben nicht unbedingt im Verhältnis zu der aufgewandten Arbeit und zu den investierten Werten (geistigen Werten). Und von der künstlerischen Arbeit abzulassen, etwa zugunsten einer erhöhten Verdienstarbeit, ist mir innerlich (oder existenziell) nicht möglich. Was tun?
Ich kann Sie natürlich bitten, mir einen Stapel Einzahlungsscheine zuzuschicken, wobei ich mir vornähme, monatlich Fr. 50,â einzuzahlen. Und noch etwas: Mein regelmäÃiges Einkommen basierte hauptsächlich auf der (kunstkritischen) Mitarbeit bei der Zürcher Woche . Nun ist â im Zusammenhang mit einer politischen reaktionären Welle â das alte ZüWo -Redaktionskollegium im Begriff, die Zeitung zu verlassen, und ich werde mitgehen. Also entgleitet mir wohl bald meine bisherige und einzige materielle Sicherung. Auch das gehört zur Situation, und auch das müssen Sie wissen.
Sie verstehen jetzt wohl, daà ich wirklich nicht wuÃte, was antworten. Ich danke Ihnen nochmals für das langjährige Wohlwollen und Verständnis.
Mit ausgezeichneter
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