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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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geformt, sich in den rasenden unschönen Lauf eingeritzt zu haben. Was tut's, daß die Werke infantil ausfallen, ohne bleibenden Wert, kindisch in der Gebärdung? Es wird hier nicht nach Kunst gefragt.
    Wieder einmal, was auch der Nouveau roman und andererseits einige jüngere dezidierte Formalisten aufzeigen: Die Sprache gibt äußerlichste Erscheinungsphänomene wieder (in der Beschreibung), mehr faßt sie nicht. In der prägnanten Beschränkung aufs Oberflächliche äußert und demonstriert sich die Ohnmacht des Menschen der heutigen Welt gegenüber. Mehr kann der nichtnaive, der bewußtseinsmäßig differenzierte und resignierende Zeitgenosse anscheinend nicht verantworten. Er gibt zu, daß er die Wirklichkeit nur noch äußerlich oder auf einem Spielzeug-Niveau beschreiben und sprachlich reproduzieren kann.
    Das heißt, daß auf die existenzielle Dimension als künstlerisches Wollen verzichtet wird. Daß resigniert wird – vor dem Totalanspruch dem Leben gegenüber.
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    Das Russische der Lebensanteilnahme; deshalb ja auch mein begeisterter Konsum von Gogol, Gontscharow, Pilnjak etc.
    Ich möchte so und soviel, was ich auch weiß vom Leben, was für mich auch dazugehört, eben mit Sprache auch machen können. Ich bin in diesem Punkt in einem Dilemma. Das Schicksalhafte, das für mich in meinem gegenwärtigen Haus -Buch steckt, bzw. das Psychologische geht schwer ein in Sprache. Die Dinge geraten mir vielfach wie ein Stummfilm, sehr verkleinert, humoresk, wie aus weiter Distanz, wie Spielfiguren. Aber nicht lebendig im Sinne der russischen Anteilnahme.
    Natürlich will ich jetzt nicht plötzlich einen alten Realismus wiedergebrauchen. Ich möchte schreibend nicht mehr aussagen, als ich wirklich weiß. Aber es genügt mir nicht, daß es bloß so ein distanzierter Episodenfilm wird. Ich möchte die Empathie der Russen und möchte meine Art des kindlichen Schrecks, diese Lähmung, Langeweile, Bedrückung provozieren können – mittels der Art und Weise, wie die Figuren (also meine Umwelt) gesehen werden.
    Dilemma.
    Nicht Grass' Zwergen-Theater, nicht Marionetten, aber auch nicht Bölls oder Walter Matthias Diggelmanns oder Anderschs traditionelle Sprachhaltung. Deren Optik und Erzählweise lehne ich für mich und überhaupt für die jüngeren Zeitgenossen ab.
    Es ist doch klar: nur das Ich als Speicher der Erinnerung und als sichtbar konstitutives konstruierendes Bewußtsein.
    Das einzige oder einzig Tröstliche, das es dazu zu sagen gibt: Die Psyche ist trotzdem immer noch ein Ausschlags
platz ohnegleichen geblieben und eine Realität ersten Grades. Es müßte doch möglich sein, etwas Existenzielles hinzubekommen, etwas Festigendes, Erhellendes, Anrührendes, ein Bassin mit Worten, in dem einige sich spiegeln und im Spiegel wiedererkennen können, einen Park aus Sätzen, der zum Sichaufhalten einlädt. Und getränkt wäre mit Luft von heute.
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    London
    Letzten Sonntag am Speakers' Corner gewesen. Hyde Park: Jetzt, im Herbst, eine müde, bräunliche endlose Weide inmitten der Weltstadt, dieses große grüne wallende Fell, über das die Menschen in allen Richtungen sich verteilen, spazierend, sich verlieren. Und dann überall kleinere und größere Trauben von Leuten um einen Redner, der entweder auf einem Holzkistchen oder zu ebener Erde (also unsichtbar) oder auf einer Art Leitertribüne steht und brandrednerisch in die Menge brüllt. Und die einzelnen antworten, fragen. Es gibt Käuze unter den Rednern, wie jener kahlköpfige über und über tätowierte Alte, der offenbar weiter nichts als von seinen zahlreichen Gefängnisaufenthalten erzählt. Oder wie der hagere Dunkelhäutige mit dem geierhaften Araberkopf, aber angezogen wie ein Dandy, der seine lepraverstümmelten Hände, diese zusammengeflickten Stummeln, der Menge drohend, als seien sie Knüppel, entgegenstreckt und der etwas ganz Absurdes verkündet, nämlich: Zurückdämmung und Landesverweisung der Farbigen … Nach ihm steigt ein junger Kerl, etwas zwischen Student und Angestelltem, auf die Leiter und tritt für die Gleichheit der Menschen ein über alle farbigen Unterschiede hinweg. Aber überernst, so daß die Schwarzen unter den Zuhörenden in Lachen ausbrechen. Es folgen irgendeine Verrückte, Religionsstifter, Käuze, ein

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