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Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Titel: Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Aly
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Kindes, das vor der Gaskammer umkehren durfte« (1994). Aus beiden Büchern zitiere ich im Kapitel »Berichte aus dem Archipel Gaskammer«.

    Von solchen Lektüren angeregt, fragte ich die Leserinnen und Leser der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau in einer Kolumne vom 1. September 2012: »Wissen oder ahnen Sie etwas von einem solchen ermordeten Verwandten in Ihrer Familie? Wäre es nicht gut, Sie könnten einfach in einer Gedenkdatei nachschauen und sich Gewissheit verschaffen? Ist es nicht ein Gebot der Menschlichkeit, den Ermordeten wenigstens ihre Namen zurückzugeben? Schreiben Sie uns Ihre Meinung.«
    Ich erhielt ausnahmslos positive Antworten. Einige davon seien hier wiedergegeben. Die Leserin Maili Hochhuth schrieb: »Die Kolumne hat mich nachdenklich gemacht. Mir fiel ein, dass mein Vater vor Jahren von der Ermordung einer Großtante erzählte, die in einer psychiatrischen Klinik gelebt hatte. Nachforschungen in den Familienunterlagen brachten keine Hinweise auf das Schicksal dieser Großtante. Auch in unserer Familie sprach und schrieb man offensichtlich nicht darüber. Ich möchte es sehr unterstützen, dass eine allgemeine Gedenkdatei mit Namen (ähnlich der für jüdische Menschen) für Opfer der ›Euthanasie‹ eingerichtet wird.«
    Lothar Wiese berichtete: »Auch ich stamme aus einer Familie, welche in der NS-Zeit ganz direkt und mit aller Brutalität von diesen Euthanasiemordaktionen betroffen war. Das Opfer war meine Großmutter mütterlicherseits. Sie litt an Schizophrenie. Leider weiß ich bis heute nur sehr wenig aus dem Leben dieser Frau, das wenige, von dem ich da Kenntnis habe, hat meine Mutter mir vor vielen Jahren mal erzählt. Meine Großmutter hieß Hilde Ströver, geboren wurde sie in Dortmund, so zwischen 1905 und etwa 1908 als das älteste von zwei Kindern einer Bergarbeiterfamilie. (…) Irgendwann, so Anfang der 1940er-Jahre muss sie dann psychisch krank geworden sein, sie veränderte sich zusehends, sie begann auffällig zu werden. So weckte sie einmal spätnachts ihre beiden Kinder und rannte in Panik nur im Nachthemd mit den völlig verängstigten zwei Mädchen auf einen Friedhof. Ähnliche Dinge wiederholten sich, und natürlich fielen solche Vorkommnisse auch den Nachbarn irgendwann auf. Und dann dauerte es nicht mehr sehr lange, bis gewisse Ämter und Behörden aktiv wurden. Sie wurde letztendlich eingewiesen, in eine entsprechende ›Klinik‹, angeblich irgendwo in der Nähe von Regensburg. Dort endete ihr Leben, gerade einmal mit Mitte 30 irgendwann im Laufe des Jahres 1943. Ihr Vater hat noch versucht, seine Tochter aus dieser Todesklinik herauszubekommen, es war vergeblich.«
    Rainer Assmann teilte über seinen Urgroßvater Emil Saefkow mit: »Nach Recherchen zu meinem Urgroßvater, der 1943 in der Nervenheilanstalt Ueckermünde offensichtlich diesem Programm zum Opfer fiel, nach Kontakten zur heutigen Klinik und ihrem Chefarzt Dr. Kliewe, der uns half, alte Krankenakten ausfindig zu machen, haben wir uns zum 65. Todestag auf den Weg nach Ueckermünde gemacht und mit unseren 16- und 18-jährigen Söhnen sowie den Eltern an Ort und Stelle an ihn gedacht – eine sehr tiefgehende und eindrückliche Erfahrung.«
    Der Blogger »sg« schrieb zu meiner Frage: »Ich bin sehr dafür, auch diesen – in der Tat von vielen Familien wenig gewürdigten – Opfern der Nazi-Diktatur einen Namen zu geben. Ich habe das in dem Artikel beschriebene Verhalten in meiner eigenen Familie erlebt beziehungsweise erlebe es noch. Eine Schwester meiner jetzt 98-jährigen Mutter wurde 1942 im Alter von knapp 30 Jahren wegen manisch-depressiven Verhaltens zur Behandlung in eine psychiatrische Klinik bei Berlin gebracht. Nach vier Tagen erhielten ihre Eltern die Nachricht, dass sie an Herzversagen verstorben sei. Da sie aber körperlich völlig gesund war, liegt der Verdacht eines Euthanasiemordes außerordentlich nahe. Allerdings wollte damals niemand in der sehr weitläufigen Familie (meine Mutter hatte elf Geschwister) diesem Verdacht nachgehen. Auch die Eltern meiner Tante, zermürbt von Bombenangriffen und der Sorge um die depressive Tochter, wollten (soviel ich weiß) keine Untersuchungen des plötzlichen Todes in die Wege leiten – aus einem Gefühl der Schande heraus, aus Überforderung oder aus berechtigter Angst? Das wissen wir nicht. Von den zahlreichen Nachkommen in dieser Familie hat meines Wissens bisher noch niemand meiner Generation Nachforschungen angestellt,

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