Die Bernsteinhandlerin
vor allem in einem derartigen Fall, denn der Mord durch Gift ist besonders heimtückisch, wie Ihr mir sicher zustimmen werdet.«
Erich schüttelte fassungslos den Kopf. »Ihr lasst solche Geschäfte zu? Die Gerechtigkeit mag bisweilen hart sein â aber das ist unnötige Grausamkeit«, stellte Erich fest.
Hagen van Dorpen lachte heiser auf. »Wisst Ihr, was wirklich grausam ist, Erich? Dass der Henker von einem Hungerlohn seine Familie ernähren muss!«
»Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass der Rat der Stadt Lübeck solche Geschäfte befürwortet!«, beharrte Erich auf seinem Standpunkt.
»Nein, er befürwortet sie auch nicht«, gestand Hagen van Dorpen. »Aber er duldet sie, denn man ist sich dort sehr wohl der Tatsache bewusst, dass der Henker von seinem Lohn nicht leben kann und man ihn ansonsten besser bezahlen müsste.«
Erich atmete tief durch. Er sah sich kurz um und beobachtete, wie der Henker von den ersten zehn widerlich geifernden Schaulustigen seinen Obolus einsammelte. »Ich dachte, Lübeck ist eine reiche Stadt!«, knurrte er.
»Die Kaufleute sind reich«, korrigierte ihn Hagen. »Auch die Bruderschaften! Aber die Stadt selbst hat nicht einmal genug Geld, um das fleckige Leinentuch in den Fenstern des Rathauses endlich gegen Glas auszutauschen!«
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Ungefähr der Hälfte derer, die Mina Lodarsen unter der Folter genannt hatte, konnte man noch habhaft werden. Andere hatten die Stadt verlassen â ob dringender Geschäfte wegen oder weil sie sich ihrer Schuld nur allzu bewusst waren und nach der Verhaftung der Giftmischerin befürchten mussten, dass ihre eigenen Verbrechen offenbar wurden, war schwer zu sagen.
Von den Gefangenen beteuerten natürlich die meisten, dass sie die Dienste der Mina Lodarsen nur in Anspruch genommen hätten, um harmlose Liebestränke oder ein Hustenmittel aus zerstoÃenem Klatschmohn zubereiten zu lassen. Letzterem wurde zudem die positive Nebenwirkung nachgesagt, angenehme Träume zu schicken und einen im Winter die Kälte nicht so spüren zu lassen. Auch habe Mina einige Rezepte gewusst, wie man Klatschmohn im Brot verbacken konnte â entweder wenn das Getreide knapp geworden war, oder weil
man die beruhigende Wirkung schätzte, die vom Genuss dieser Brote ausging.
»Ich frage mich, wie viele von diesen Unglücklichen nur deshalb von der Giftmischerin genannt wurden, weil sie auf ein Ende ihrer Schmerzen hoffte«, sagte Erich von Belden nach einem der Verhöre, die an den nächsten Tagen stattfanden.
Inzwischen war dieser Angelegenheit auch von höherer Stelle eine gröÃere Bedeutung zugemessen worden. Ein vom Rat eingesetzter Richter war nun bei den Vernehmungen der Mina Lodarsen zugegen. Er war ein grauhaariger, schmallippiger Mann, dessen verschlossene Art Erich von Beginn an unsympathisch gewesen war. Immer weitere tatsächliche oder vermeintliche Verbrechen kamen durch Minas Aussagen ans Tageslicht. Ein Abgrund an heimtückischer Mordlust und Skrupellosigkeit schien sich da aufzutun.
Man folterte die Giftmischerin nun nicht mehr, denn sie redete wie ein Wasserfall. Offenbar hatte sie erkannt, dass man sie am Leben lieÃ, solange die Aussicht bestand, dass sie zur Aufklärung weiterer Untaten beitrug. AuÃerdem war noch nicht entschieden worden, ob man das Treiben der Giftmischerin auch als eine Form schwarzer Magie werten sollte. Vom Abt des Lübecker Dominikanerklosters war der Körper der Frau nach Teufelsmalen abgesucht worden, woraufhin man den Henker und den Stadtkommandanten scharf tadelte. Denn nachdem die Frau so schwer geschunden worden und ihr Körper mit Brandmalen und Wunden übersät war, sei eine ordnungsgemäÃe Einschätzung nicht mehr möglich gewesen. Immerhin waren die intakten Hautpartien ohne Befund. Jetzt kam es darauf an, was die anderen Komplizen und Zeugen zu einer eventuellen Verbindung der Giftmischerin mit dem Satan zu sagen hatten.
Mina Lodarsen berichtete gleichwohl jeden Tag über neue Mordverschwörungen, deren Schilderungen allerdings immer widersprüchlicher und unglaubwürdiger wurden.
»Sie will nur am Leben bleiben und sich interessant machen«, meinte der vom Rat eingesetzte Richter. Sein Name war Richard Kührsen. Als langjähriger Ãltermann der Schonenfahrer-Bruderschaft war er es gewohnt, in Streitfällen zu vermitteln â zumindest wenn es um
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