Die Beschenkte
Wort genommen, als Bo sagte, er wisse nicht genau, wohin ihr Weg sie führen würde. Katsa blätterte durch Karten von Nander und Wester, von Drowden City und Birn City, eine Karte von Sunder und eine von Murgon City. Dann kamen mehrere Karten verschiedener Teile von Monsea. Schließlich zog sie ein widerspenstiges Blatt aus dem Stapel, legte es neben dem Feuer auf die Erde und beschwerte es an den Ecken mit Steinen, damit es glatt blieb. Sie hockte sich hin und musterte die Prinzessin, die das Feuer mit den bratenden Wachteln bewachte.
In allen sieben Königreichen gab es Menschen mit grauen Augen und dunklem Haar, Bitterblues Farben waren also nicht ungewöhnlich. Doch selbst im schwachen Licht des Feuers war sie auffallend mit ihrer geraden Nase und dem hübschen Mund. Oder war es ihr dichtes Haar oder die Art, wie das Haar von der Stirn zurückfiel? Katsa wusste nicht, was es war, doch sie wusste, dass das Kind selbst ohne Ohrreife oder Fingerringe etwas von den Lienid in ihrer Erscheinung hatte, etwas, das über dunkles Haar und helle Augen hinausging.
In einem Königreich, das verzweifelt nach dem zehnjährigen Kind einer Lienid-Mutter suchte, würde Bitterblue schwierig zu verkleiden sein, selbst wenn sie das Übliche taten: ihr die Haare abschnitten, die Kleidung austauschten und sie zu einem Jungen machten.
Und die Gefährtin des Kindes war kein geringeres Problem. Bei Tageslicht war Katsa kein so überzeugender Junge wie im Dunkeln. Und sie würde irgendwie ihr grünes Auge verstecken müssen. Ein femininer Junge mit einem sehr strahlenden blauen Auge, einer Augenklappe und einem Schützling, der wie ein Kind aus Lienid wirkte, würde bei Tageslicht mehr Aufmerksamkeit erregen, als sie brauchen konnten. Und sie konnten es sich nicht leisten, nur bei Nacht zu reisen. Selbst wenn sie es ungesehen bis Monport schafften, würde man sie sofort erkennen, wenn sie sich zeigten. Sie würden festgenommen werden, und Katsa würde Menschen töten müssen. Dann musste sie ein Schiff beschlagnahmen oder stehlen, sie, die keine Ahnung von Schiffen hatte. Leck würde davon hören und genau wissen, wo er sie finden konnte.
Katsa schaute von der Prinzessin hinunter auf die Landkarte am Boden vor ihr. Es war eine Karte der Grenze zwischen Sunder und Monsea, vom unpassierbaren Gebirge von Monsea. Wenn Bo hier wäre, würde er ahnen, was sie dachte. Die folgende erbitterte Auseinandersetzung zwischen ihnen konnte sie sich vorstellen.
Sie malte sich das Streitgespräch in Gedanken aus, weil es ihr bei der Entscheidung half.
Als sie zu Abend gegessen hatten, rollte sie die Landkarten zusammen und befestigte ihre Sachen am Sattel. »Hinauf mit dir, Bitterblue. Wir können diese Nacht nicht vergeuden. Wir müssen weiter.«
»Bo hat dich gewarnt, das Pferd zuschanden zu reiten.«
»Das Pferd hat eine ausgiebige Rast vor sich. Wir reiten in die Berge, und sobald wir ein bisschen höher sind, lassen wir es frei.«
»In die Berge«, wiederholte Bitterblue. »Was meinst du damit, in die Berge?«
Katsa zerstreute die Reste des Feuers und grub mit ihrem Dolch ein Loch für die Knochen ihrer Mahlzeit. »In Monseasind wir nicht sicher. Wir überqueren die Berge nach Sunder.«
Bitterblue stand still neben dem Pferd und starrte sie an. »Wir überqueren die Berge? Diese Berge hier?«
»Ja. Der Bergpass an der nördlichen Grenze wird bewacht sein. Wir müssen unseren eigenen Übergang finden.«
»Selbst im Sommer überquert niemand diese Berge«, sagte das Mädchen. »Es ist fast Winter. Wir haben keine warme Kleidung. Wir haben keine Werkzeuge bis auf deinen Dolch und mein Messer. Es ist unmöglich. Wir würden es nicht überleben.«
Katsa hatte eine Antwort darauf, obwohl sie keins der Bedenken ausräumen konnte. Sie hob das Mädchen in den Sattel, schwang sich hinter ihr auf das Pferd und lenkte das Tier nach Westen.
Dann sagte sie: »Ich werde dich am Leben halten.«
In Wirklichkeit hatten sie mehr als einen Dolch und ein Messer, um sie über das Gebirge von Monsea nach Sunder zu bringen. Sie hatten den Dolch und das Messer, ein Seil, Nadel und etwas Schnur, die Landkarten, einen Teil der Arzneien, das meiste vom Gold, etwas zusätzliche Kleidung, die fadenscheinige Decke, die Bitterblue umgehängt hatte, zwei Satteltaschen, einen Sattel und Zaumzeug. Und sie hatten alles, was Katsa fangen, töten oder mit eigenen Händen herstellen würde, während sie die Berge bestiegen. Dazu würde vor allem das Fell irgendeines Tieres
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