Die Beschenkte
gehören, um das Kind vor der beißenden Kälte zu schützen, der sie hier ausgesetzt waren, und vor der gefährlichen Kälte, die sie noch erwartete und über die Katsa nicht nachdenken wollte, denn sonstwürde sie anfangen, ihre eigene Entscheidung in Zweifel zu ziehen.
Sie würde auch einen Bogen bauen und möglicherweise Schneeschuhe – wie jene, die sie ein- oder zweimal in den winterlichen Wäldern außerhalb von Randa City getragen hatte. Sie glaubte sich zu erinnern, wie die Schneeschuhe aussahen und nach welchem Prinzip sie funktionierten.
Als der Himmel hinter ihnen heller und farbiger wurde, zog Katsa das Kind vom Pferd herunter. Sie schliefen etwa eine Stunde zusammengerollt in einer moosigen Felsspalte. Die Sonne ging auf und Katsa erwachte vom Zähneklappern des Mädchens. Sie musste Bitterblue wecken, sie mussten weiter, und bevor der Tag zu Ende war, musste ihr etwas gegen die Kälte eingefallen sein, die dem Mädchen keine Ruhe lassen würde.
Bitterblue blinzelte ins Licht.
»Wir sind höher«, sagte sie. »Wir sind in der Nacht gestiegen.«
Katsa gab ihr, was von der gestrigen Abendmahlzeit übrig war. »Ja.«
»Du bist immer noch entschlossen, die Berge zu überqueren.«
»Es ist die einzige Gegend in Monsea, in der Leck uns nicht sucht.«
»Weil er weiß, dass wir verrückt wären, wenn wir es versuchten.«
Im Ton des Mädchens lag etwas Verdrossenes, das erste Anzeichen von Klage oder Protest, seit Katsa und Bo sie im Wald gefunden hatten. Aber das war ihr gutes Recht. Sie warmüde und fror; ihre Mutter war tot. Katsa breitete die Landkarte des Monsea-Gebirges auf ihrem Schoß aus und sagte nichts.
»In den Bergen gibt es Bären«, sagte Bitterblue.
»Die Bären schlafen bis zum Frühling.«
»Es gibt noch andere Tiere. Wölfe. Berglöwen. Tiere, die du in den Middluns noch nie gesehen hast. Und du kennst keinen Schnee. Du weißt nicht, wie es in diesen Bergen ist.«
Auf Katsas Landkarte war zwischen zwei Berggipfeln ein Pfad eingezeichnet, der wahrscheinlich die wenigsten Schwierigkeiten auf dem Weg nach Sunder bot. Nach den daruntergekritzelten Worten hieß er Grellas Pass und war vermutlich der einzige Weg durch das Gebirge, der schon von anderen gegangen worden war.
Katsa rollte die Karten zusammen und schob sie in eine Satteltasche, dann hob sie das Mädchen wieder in den Sattel.
»Wer ist Grella?«, fragte sie.
Bitterblue prustete verächtlich und sagte nichts. Katsa schwang sich hinter dem Kind auf das Pferd. Sie ritten einige Minuten, bevor Bitterblue antwortete.
»Grella war ein berühmter Bergsteiger aus Monsea. Er starb an dem Pass, der seinen Namen trägt.«
»War er ein Beschenkter?«
»Nein. Er war nicht beschenkt wie du. Aber er war verrückt wie du.«
Die Spitze in dieser Bemerkung berührte Katsa nicht. Bitterblue hatte keinen Grund zu glauben, dass eine Beschenkte, die erst vor kurzem ihren ersten Berg gesehen hatte, sie über Grellas Pass führen könnte. Katsa war sich ja selbst nicht sicher. Aber wenn sie die Gefahr, dem König von Monsea indie Hände zu fallen, abwog gegen das Risiko, Bären, Wölfen, Schneestürmen und Eis trotzen zu müssen, hielt sie sich dank ihrer Gabe mit größter Gewissheit für besser gerüstet, die Berge zu überqueren.
Deshalb sagte Katsa nichts, und sie überlegte es sich nicht anders. Als der Wind zunahm und sie fühlte, wie Bitterblue schauderte, zog sie das Kind an sich und bedeckte seine Hände mit den ihren. Das Pferd stolperte bergauf und Katsa dachte über ihren Sattel nach. Wenn sie ihn auseinandernahm, einweichte und schlug, würde sein Leder weich werden. Daraus ließe sich eine Art Jacke für Bitterblue machen oder vielleicht eine Hose. Es gab keinen Grund, den Sattel zurückzulassen, wenn er in etwas verwandelt werden konnte, das für Wärme sorgte. Das Pferd würde ihn sehr bald nicht mehr brauchen.
Sie kletterten ohne Sicht, selbst tagsüber, ohne zu wissen, worauf sie als Nächstes stoßen würden, denn vor ihnen ragten Berge und Bäume auf und verbargen die höher gelegenen Gipfel. Katsa fing Eichhörnchen, Fische und Mäuse für ihre Mahlzeiten, und wenn sie Glück hatten, Kaninchen. Neben ihrem Feuer dehnte und trocknete sie jede Nacht die Felle ihrer Beute. Sie rieb sie mit Fischtran und Fett ein, steckte sie zusammen, probierte dies und das und gab nicht auf, bis sie dem Kind eine Pelzkapuze gemacht hatte, mit Enden, die sie wie einen Schal um den Hals binden konnte. »Es sieht ein bisschen seltsam
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