Die Beschenkte
sprudelndes Geheul von sich. Dann brach es auf Katsas Brust zusammen und seine Krallen rutschten von ihrer Haut. Sie stützte sich auf den rechten Ellbogen und wischte sich das heiße Blut des Tieres aus den Augen. Als sie die linke Schulter bewegte, zuckte sie vor Schmerz zusammen. Sie schluckte den Ärger darüber hinunter, dass sie jetzt eine Verletzung hatte, die sie noch langsamer machen könnte, riss ihre Jacke auf und seufzte über die Wunden in ihrer Brust, die fast so schmerzhaft waren wie die in der Schulter. Und sie hatte noch andere Kratz- und Reißwunden, stellte sie jetzt fest, da jede Bewegung an anderer Stelle schmerzte – kleinere Kratzer an Hals, Bauch und Armen, tiefere in ihren Schenkeln, wo die Katze sie mit den Hinterbeinen zu Boden gedrückt hatte.
Katsa stand mühsam auf. Sie betrachtete den großen braunen Löwen, der tot und blutig vor ihr lag. Sein Schwanz – der war es, den sie gesehen hatte, wie er sich im Baum hob und senkte. Der erste Hinweis, der ihr das Leben gerettet hatte. Vom Kopf bis zum Schwanz war das Tier größer als sie, und sie nahm an, dass es auch wesentlich mehr wog. Der Halswar dick und mächtig, Schultern und Rücken sehr muskulös. Die Zähne waren so lang wie ihre Finger und die Krallen noch länger. Sie fand, dass sie sich bei diesem Kampf gar nicht so schlecht geschlagen hatte trotz allem, was Bitterblue denken würde, wenn sie Katsa sah. Das war kein Tier, das sie sich für einen Ringkampf ausgesucht hätte. Dieses Tier hätte sie töten können.
Da fiel ihr ein, wie lange sie Bitterblue allein gelassen hatte; ein Windstoß blies ihr dichter werdenden Schnee ins Gesicht. Sie zog dem Berglöwen den Dolch aus der Kehle, wischte ihn an der Erde ab und steckte ihn in ihren Gürtel. Dann rollte sie das Tier auf den Rücken und nahm in jede Hand eins seiner Vorderbeine. Sie biss die Zähne zusammen gegen den Schmerz in ihrer Schulter und zog die Katze hinunter in ihre Höhle.
Bitterblue lief ihr aus dem Lager entgegen, als sie Katsa kommen sah. Ihre Augen wurden groß. Sie stieß einen undefinierbaren Laut aus, der wie ein Würgen klang.
»Alles in Ordnung«, sagte Katsa. »Er hat mich nur gekratzt.«
»Du bist voller Blut.«
»Das meiste ist Berglöwenblut.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf und zog an den Rissen in Katsas Jacke. »Bei allen Meeren!«, flüsterte sie, als sie die Wunden in Katsas Brust sah. »Bei allen Meeren!«, wiederholte sie flüsternd beim Anblick von Katsas Schulter, ihren Armen, ihrem Bauch. »Wir werden einige dieser Schnitte zunähen müssen. Komm, wir säubern dich. Ich hole die Arzneien.«
In dieser Nacht war es eng in ihrem Lager, doch das Feuer wärmte den kleinen Raum, briet ihre Löwensteaks und trocknete das gelbbraune Fell, das bald Bitterblues Mantel werden würde. Bitterblue beaufsichtigte ihr Abendessen über dem Feuer. Das übrige gefrorene Fleisch würden sie mitnehmen, wenn sie weiterkletterten.
Der Schnee fiel jetzt dichter. Der Wind blies Flocken in ihr Feuer, wo sie zischten und schmolzen. Auch wenn der Sturm anhielt, würden sie es hier behaglich haben. Essen, Wasser, ein Dach und Wärme – sie hatten alles, was sie brauchten. Katsa veränderte ihre Stellung, damit die Wärme vom Feuer sie erreichte und die zerfetzte Kleidung trocknete, die sie nach dem Waschen wieder angezogen hatte, weil sie nichts anderes besaß.
Sie arbeitete weiter an dem großen Bogen, den sie seit einigen Tagen baute. Sie bog das Holz, prüfte seine Stärke und schnitt eine Schnur für die Sehne zurecht, die sie an einem Ende des Bogens festband, straffte und am anderen Ende befestigte. Sie stöhnte über den Schmerz in der Schulter und im Bein, wo der Bogen auf eine ihrer Wunden drückte. »Wenn sich Verletzungen so anfühlen, dann werde ich nie verstehen, warum Bo so gern mit mir kämpft. Nicht wenn er sich hinterher so fühlt.«
»Ich verstehe vieles nicht, was ihr beide macht«, sagte das Mädchen.
Katsa stand auf und zog probeweise an der Schnur. Dann griff sie nach einem der Pfeile, die sie geschnitzt hatte, legte ihn auf die Sehne und schoss durch den fallenden Schnee auf einen Baum außerhalb der Höhle. Der Pfeil traf mit einem dumpfen Schlag und grub sich tief hinein. »Nicht schlecht«,sagte Katsa. »Er wird seinen Zweck erfüllen.« Sie ging hinaus in den Schnee und zog den Pfeil aus dem Baum. Dann kam sie zurück, setzte sich und machte sich daran, weitere Pfeile zu schnitzen. »Ich muss sagen, ich würde mein Löwensteak
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