Die Beschenkte
nicht wert, Katsa«, meinte Raffin, »dass du jemanden verhörst, der dich erkennt und Murgon hinterher davon berichtet.«
»Überhaupt sollte Greening es machen«, sagte Giddon, und Bos kalter Blick traf ihn wieder. »Das Motiv eines Prinzen von Lienid würde Murgon nicht hinterfragen. Murgon würde es sogar von ihm erwarten. Eigentlich verstehe ich nicht, warum Sie es nicht schon längst getan haben«, sagte Giddon zu Bo, »wenn Sie so gern wissen wollen, wer verantwortlich ist.«
Katsa war zu gereizt, um ihre strategische Sitzordnung zu beachten. Sie beugte sich an Raffin und Bann vorbei und sagte zu Giddon: »Weil Murgon nicht wissen kann, dass Bo von seiner Beteiligung weiß, deshalb«, sagte sie. »Wie könnte Bo das erklären, ohne uns zu belasten?«
»Aber genau deshalb kannst auch du keinen von Murgons Leuten verhören, Katsa, wenn du nicht bereit bist, ihn hinterher zu töten.«
Giddon schlug mit der Hand auf den Tisch und funkelte sie an.
»Wartet«, sagte Raffin, »wartet. Wir drehen uns im Kreis.«
Katsa lehnte sich zurück, doch innerlich schäumte sie.
»Katsa«, sagte Raffin, »die Information ist es nicht wert, dich oder den Rat zu gefährden. Sie rechtfertigt auch keine Gewalt, wie ich finde.«
Katsa seufzte innerlich. Er hatte natürlich Recht.
»Vielleicht rechtfertigt sie das irgendwann in der Zukunft«, fuhr Raffin fort. »Aber im Moment ist Großvater Tealiff in Sicherheit und wir haben keinerlei Hinweis, dass Murgon oder irgendein anderer es erneut auf ihn abgesehen hat. Bo, wenn du etwas unternehmen willst, dann ist das deine Angelegenheit, obwohl ich dich bitten würde, es zuerst mit uns zu besprechen.«
»Ich muss darüber nachdenken«, sagte Bo.
»Dann ist dieser Punkt abgeschlossen«, sagte Raffin, »bis wir etwas Neues erfahren oder Bo zu einer Entscheidung kommt. Oll? Liegt noch etwas an?«
Oll berichtete von einem Dorf in Wester, das sich gegen den Überfall einer Bande aus Nander mit zwei Katapulten verteidigt hatte, die ihnen ein Lord aus Wester gegeben hatte, ein Freund des Rats. Die Räuber aus Nander waren geflohen, sie glaubten, von einer Armee angegriffen zu werden. Rund um den Tisch wurde gelacht und Oll begann mit einem weiteren Bericht, doch Katsas Gedanken wanderten zu Murgon und seinen Verliesen und zu den Wäldern von Sunder, die wahrscheinlich die Geheimnisse der Entführung kannten. Sie spürte Bos Blick und schaute ihn über den Tisch an. Seine Augen waren auf sie gerichtet, doch er sah sie nicht.Seine Gedanken waren anderswo. Diesen Blick hatte er manchmal auch, wenn sie nach ihren Kämpfen beisammensaßen.
Sie betrachtete sein Gesicht. Der Schnitt auf seiner Stirn war jetzt nicht mehr als eine dünne rote Linie. Er würde eine Narbe hinterlassen. Sie fragte sich, ob das seine Lienid-Eitelkeit verletzen könnte, doch dann lächelte sie innerlich. Er war eigentlich gar nicht eitel. Es hatte ihm gar nichts ausgemacht, als sie ihm das Auge blau schlug. Er hatte nichts getan, um die Wunde auf seiner Stirn zu verbergen. Außerdem würde ein eitler Mensch nicht Tag für Tag mit ihr kämpfen wollen. Ein eitler Mensch würde seinen Körper nicht der Gnade ihrer Hände ausliefern.
Seine Ärmel waren wieder bis zu den Ellbogen aufgerollt; er war so nachlässig. Ihr Blick ruhte auf den Schatten in den Vertiefungen seiner Kehle, dann hob sie ihn wieder zu seinem Gesicht. Katsa fand, er hätte Grund, eitel zu sein. Er sah gut aus, so gut wie Giddon oder Raffin, mit seiner geraden Nase, diesem Mund und den kräftigen Schultern. Und selbst diese leuchtenden Augen – selbst die konnte man schön nennen.
Jetzt fokussierte sich sein Blick wieder und begegnete ihrem. Und dann lag etwas Listiges darin, und er grinste. Fast als wüsste er genau, was sie dachte, was sie über seinen Anspruch auf Eitelkeit für sich entschieden hatte. Katsa setzte eine abweisende Miene auf und funkelte ihn an.
Das Treffen war zu Ende, Stühle schabten über den Boden. Raffin nahm sie zur Seite, um etwas mit ihr zu besprechen. Sie war dankbar für die Entschuldigung, sich abzuwenden. Bis zu ihrem nächsten Kampf würde sie Bo nicht mehr sehen. Und ihre Kämpfe brachten sie immer wieder zu sich.
Am nächsten Morgen kam Randa zum ersten Mal zu ihrem Training. Er stand an der Seite, so dass jeder im Raum gezwungen war, ebenfalls zu stehen und ihn zu beobachten statt der Kämpfer, deretwegen sie gekommen waren. Katsa war froh zu kämpfen, froh um die Ausrede, ihn zu ignorieren. Nur dass sie ihn
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