Die besten Crime-Stories.: Meistererzählungen der Queen of Crime
Ausdruck in den Augen zu.
Irgendwie schien dieser Blick eine innere Befriedigung auszudrücken. Auch Annette fing den Blick auf. Sie schleuderte das Glas fort, daß es in Stücke zersprang.
‹Siehst du, wie sie mich ansieht? So sieht sie mich jetzt immer an. Sie freut sich, daß ich bald sterbe. Ja, sie weidet sich daran. Sie, die so stark und gesund ist. Sieh sie nur an, keinen Tag war sie krank, nicht einen einzigen! Und alles für nichts. Was nützt ihr ihr starkes Gerippe? Was kann sie damit machen?›
Felicie bückte sich und hob die Glassplitter auf
‹Ich mache mir nichts daraus, was sie sagt›, bemerkte sie dabei mit einer singenden Stimme.
‹Was macht das schon? Ich bin ein ehrbares Mädchen. Aber was sie betrifft, sie wird die Qualen des Fegefeuers bald kennenlernen. Ich bin eine Christin, ich sage nichts.›
‹Du haßt mich!› schrie Annette. ‹Du hast mich immer gehaßt Aber ich kann dich verzaubern, trotz alledem. Ich kann dir befehlen, etwas zu tun, ganz egal was, und du wirst es tun. Siehst du, ich kann dir jetzt sagen, du sollst hier vor mir im Gras niederknien, und du wirst es tun.›
‹Das ist ja albern›, sagte Felicie mit Unbehagen.
‹Aber ja, du wirst es tun. Du wirst! Um mir zu Gefallen zu sein. Herunter auf deine Knie. Ich sage es dir, ich, Annette. Auf deine Knie, Felicie!› Ob es nun der besondere Ton war, der in Annettes Stimme schwang, oder ein tieferes Motiv - Felicie gehorchte. Sie sank langsam auf ihre Knie nieder, ihre Arme weit ausgestreckt, und ihr Gesichtsausdruck war leer und dumm.
Annette warf den Kopf zurück und lachte.
‹Sieh nur, was für ein dummes Gesicht sie hat! Wie lächerlich sie aussieht... Du kannst jetzt wieder aufstehen, Felicie, danke. Es hat keinen Zweck, mich so böse anzusehen, ich bin deine Herrin. Du mußt tun, was ich sage.›
Erschöpft sank sie in die Kissen zurück. Felicie nahm das Tablett und ging langsam fort.
Einmal sah sie noch über ihre Schulter zurück, und der schwelende Haß in ihrem Blick erschreckte mich.
Ich war nicht dabei, als Annette starb. Aber es muß schrecklich gewesen sein. Sie hing am Leben. Sie kämpfte gegen den Tod wie eine Wahnsinnige. Wieder und wieder soll sie geschrieen haben: ‹Ich will nicht sterben – hört ihr mich?1 Ich will nicht sterben, ich will leben – leben -›
Miss Slater erzählte mir alles, als ich sie sechs Monate später wieder besuchte.
‹Mein armer Raoul›, sagte sie freundlich. ‹Du hast sie immer geliebt, nicht wahr?›
‹Immer – immer. Aber was konnte ihr das nützen? Lassen Sie uns nicht mehr davon sprechen. Sie ist tot – sie, die so sprühend war, so voller Leben.› Miss Slater war eine mitfühlende Frau. Sie sprach von anderen Dingen. Sie machte sich um Felicie große Sorgen, sagte sie. Das Mädchen habe einen merkwürdigen Nervenzusammenbruch erlitten. Seitdem sei ihr Verhalten sehr seltsam.
‹Wissen Sie›, ergänzte Miss Slater nach einigem Zögern, ‹sie lernt jetzt Klavier spielen.› Das wußte ich nicht, und es überraschte mich sehr. Felicie und Klavier spielen lernen! Ich hätte sofort beschwören können, daß das Mädchen nicht eine Note von der anderen unterscheiden konnte.
‹Sie hat Talent, sagt man›, fuhr Miss Slater fort. ‹Ich kann das nicht verstehen. Ich habe sie immer für – nun, Raoul, du weißt schon, sie war immer ein dummes Mädchen.› Ich nickte.
‹Sie ist oft so seltsam – ich weiß dann wirklich nicht, wie ich alles verstehen soll.› Ein wenig danach betrat ich den Lesesaal. Felicie spielte Klavier. Sie spielte eine Melodie, die ich Annette in Paris hatte singen hören. Verstehen Sie, meine Herren? Es versetzte mir einen ordentlichen Schock. Als sie mich hörte, brach sie ab und wandte sich mir zu, ihre Augen voller Spott und Intelligenz. Einen Moment lang dachte ich – nun, ich will nicht sagen, was ich dachte.
‹Tiens›, sagte sie. ‹Da sind Sie ja, Monsieur Raoul.› Ich kann die Art, wie sie das sagte, nicht beschreiben. Für Annette hatte ich nie aufgehört, Raoul zu sein. Aber Felicie hatte mich, seit wir uns als Erwachsene wiedergetroffen hatten, immer mit ‹Monsieur Raoul› angeredet. Aber die Art, wie sie es jetzt sagte, war ganz anders - so, als ob das ‹Monsieur›, leicht übertrieben ausgesprochen, sie irgendwie amüsiert.
‹Ach, Felicie›, stammelte ich ‹Sie sehen heute ganz anders aus. Woher kommt das?›
‹So? Tue ich das?› fragte sie nachdenklich. ‹Das ist komisch. Aber seien Sie nicht so
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