Die besten Crime-Stories.: Meistererzählungen der Queen of Crime
endete alles. Der Vorhang fiel für immer über das Geheimnis der Felicie Bault.»
In diesem Moment lachte der Mann in der vierten Ecke auf.
Die drei anderen fuhren herum wie von der Tarantel gestochen. Sie hatten die Existenz des vierten vollkommen vergessen. Als sie auf den Platz starrten, auf dem er saß – noch immer eingemummt in seinen Mantel -, lachte er wieder.
«Sie müssen entschuldigen, Gentlemen», sprach er in perfektem Englisch, das nichtsdestoweniger einen ausländischen Klang hatte.
Er setzte sich auf und entblößte ein blasses Gesicht mit kleinem, pechschwarzem Schnurrbart.
«Ja, Sie müssen entschuldigen», sagte er und verbeugte sich spöttisch. «Aber wirklich!
Wurde in der Wissenschaft jemals das letzte Wort gesprochen?»
«Wissen Sie etwas von dem Fall, über den wir sprechen?» fragte der Arzt höflich.
«Von dem Fall? Nein. Aber ich kannte sie.»
«Felicie Bault?»
«Ja. Und Annette Ravel auch. Sie haben niemals von Annette Ravel gehört, wie ich sehe?
Die Geschichte der einen ist gleichzeitig die Geschichte der anderen. Glauben Sie mir, Sie wissen nichts von Felicie Bault, wenn Sie nicht auch die Geschichte der Annette Ravel kennen.»
Er zog seine Uhr hervor und sah darauf.
«Noch genau eine halbe Stunde bis zur nächsten Station. Ich habe Zeit, Ihnen die Geschichte zu erzählen – das heißt, wenn Sie sie hören wollen.»
«Bitte, erzählen Sie», antwortete der Arzt ruhig.
«Herzlich gern», sagte Parfitt. «Herzlich gern.»
Sir George Durand nahm nur eine Haltung gespannter Aufmerksamkeit an.
«Mein Name», begann der fremde Reisegefährte, «ist Raoul Letardeau. Sie hatten von einer englischen Dame gesprochen, einer Miss Slater, die ihr Leben der Wohltätigkeit gewidmet hatte. Ich wurde in diesem Fischerdorf in der Bretagne geboren, und als meine Eltern bei einem Zugunglück ums Leben kamen, war es Miss Slater, die mir zu Hilfe kam und mich vor dem bewahrte, was ihr Engländer das Waisenhaus nennt. Sie hatte schon an die zwanzig Kinder unter ihrer Obhut, Mädchen und Jungen. Unter diesen Kindern waren auch Felicie Bault und Annette Ravel. Wenn es mir nicht gelingt, Ihnen die Persönlichkeit von Annette verständlich zu machen, Gentlemen, werden Sie nichts verstehen. Sie war das Kind einer, wie man bei uns sagt, filIe de joie, eines Freudenmädchens, das, von seinem Liebhaber verlassen, an Tuberkulose gestorben war. Die Mutter war Tänzerin gewesen, und auch Annette hatte den Wunsch, zu tanzen. Als ich sie zum erstenmal sah, war sie ein Kind von elf Jahren, ein kleines Ding mit Augen, die abwechselnd spotteten und versprachen – ein kleines Wesen, ganz Feuer und Leben. Auf einmal machte sie mich zu ihrem Sklaven. ‹Raoul, tu dies für mich; Raoul, tu das für mich.› Und ich gehorchte. Ich betete sie an, und sie wußte es.
Manchmal gingen wir zum Strand hinunter, zu dritt – denn Felicie kam immer mit. Dann zog Annette Schuhe und Strümpfe aus und tanzte auf dem Sand. Und wenn sie atemlos niedersank, erzählte sie uns, was sie tun und was sie sein würde.
‹Seht ihr, ich werde berühmt werden. Ja, ganz groß und berühmt. Ich werde Hunderte und Tausende von Seidenstrümpfen haben – die feinsten Seidenstrümpfe. Und ich werde ein wunderschönes Appartement haben. Alle meine Liebhaber werden jung und schön und auch reich sein. Und wenn ich tanze, wird ganz Paris kommen, mir zuzusehen. Sie werden staunen und schreien und rufen und ganz wahnsinnig werden, wenn ich tanze. Aber im Winter werde ich nicht tanzen. Da fahre ich in den Süden, in die Nähe der Sonne. Dort gibt es Villen mit Orangenbäumen. Eine davon wird mir gehören. Ich werde auf seidenen Kissen in der Sonne liegen und Orangen essen. Und dich, Raoul, werde ich nie vergessen, wenn ich auch noch so reich und berühmt bin. Ich werde dich beschützen und deine Karriere fördern. Felicie wird meine Zofe sein – nein, ihre Hände sind zu ungeschickt. Sieh sie dir nur an, wie groß und schwerfällig sie sind.›
Fehde wurde dann böse. Aber Annette fuhr fort, sie aufzuziehen.
‹Sie ist so damenhaft, Felicie – so elegant, so vornehm. Sie ist eine verkleidete Prinzessin - ha, ha.›
‹Mein Vater und meine Mutter waren verheiratet, das ist besser als bei deinen Eltern›, zischte Fehde dann verächtlich.
‹Ja, und dein Vater hat deine Mutter umgebracht. Eine feine Sache, die Tochter eines Mörders zu sein.›
‹Und dein Vater hat deine Mutter verfaulen lassen›, entgegnete Fehde.
‹Ach ja.›
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