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erklärte natürlich, warum man ihm diese Aufgabe zugeschustert hatte.
Wieder suchte er in seinen Taschen nach dem Feuerzeug – und er entdeckte dabei das kleine graue Päckchen, das ihm der Hausierer, dieser Kriegsveteran – verkauft hatte. Oh je, dachte er, als er sich daran erinnerte, wieviel ihn das gekostet hatte. Das Geld war zum Fenster hinausgeworfen, denn was nützte ihm dieses Heilkraut schon? Nichts. Er drehte das Päckchen und bemerkte, daß auf der Rückseite einige kleingedruckte Worte standen. Nun, sagte er sich, wollen wir einmal nachschauen, was ich mir da habe andrehen lassen, und vorsichtig faltete er das Päckchen auseinander. Der Text hatte ihn neugierig gemacht – und das war natürlich auch beabsichtigt gewesen.
Versagen Sie als Parteimitglied und als Mensch? Fürchten Sie sich davor, überflüssig zu werden und auf dem Schuttabladeplatz der Geschichte zu landen, weil…
Rasch überflog er den Text, ignorierte die Behauptungen und versuchte herauszufinden, was er da eigentlich erworben hatte.
Währenddessen sprach der Absolute Wohltäter weiter.
Schnupftabak. Das Päckchen enthielt Schnupftabak. Zahllose winzige Körner, wie Schießpulver, und sie verströmten ein interessantes Aroma, das in seiner Nase kitzelte. Diese spezielle Mischung, stellte er fest, hieß Princess Special. Sie roch tatsächlich sehr angenehm, entschied er. Eine Zeitlang, während seiner Studentenzeit an der Universität von Peking, hatte er Schnupftabak genommen, da aus Gesundheitsgründen das Tabakrauchen vorübergehend verboten worden war; er hatte eine Vorliebe für die modischen, erotisch anregenden Mischungen aus Chungking gehabt, die aus Gottweiß-welchen Stoffen hergestellt wurden. War dies hier etwas Ähnliches? Schnupftabak konnte man fast alle Aromastoffe zusetzen – ob es sich nun um Orangenessenz oder um pulverisierte Babyscheiße handelte… zumindest hatte man diesen Eindruck, vor allem bei einer englischen Mischung namens High Dry Toast, die dann auch mehr oder weniger dafür verantwortlich gewesen war, daß er das Tabakschnupfen aufgegeben hatte.
Auf dem Bildschirm fuhr der Absolute Wohltäter mit seiner monotonen Ansprache fort, und Chien roch vorsichtig an dem Pulver und las den Reklametext – offenbar kurierte es alles, vom morgendlichen Zuspätkommen angefangen bis zum Verliebtsein in eine Frau mit dubiosen politischen Ansichten. Interessant. Aber typisch für diese Werbesprüche…
Die Türglocke läutete.
Chien erhob sich, ging zur Tür und öffnete sie, schon im voraus wissend, wen er dort antreffen würde. Richtig, dort stand auch schon Mou Kuei, der Hauswart, so schmal und hartäugig und pflichtbewußt wie immer; er trug seine Armbinde und den Metallhelm und verriet somit, daß er dienstlich hier war. »Mr. Chien, Genosse Parteiarbeiter. Ich habe einen Anruf von der Fernsehbehörde bekommen. Statt sich auf den Bildschirm zu konzentrieren, beschäftigten Sie sich mit einem Päckchen zweifelhaften Inhalts.« Er hatte einen Notizblock mitgebracht. »Zwei Rotvermerke, und weiterhin werden Sie hiermit angewiesen, sich in behaglicher, entspannter Haltung vor den Bildschirm zu setzen und dem Führer Ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit zu schenken. An diesem Abend sind seine Worte direkt an Sie gerichtet, Sir; an Sie.«
»Das bezweifle ich«, hörte Chien sich selbst sagen.
Kuei zwinkerte verblüfft und fragte: »Wie meinen Sie das?«
»Der Führer regiert über acht Milliarden Genossen. Da hat er mich bestimmt nicht unter all diesen Menschen als einzigen ausgesucht.« Er war wütend; die Pedanterie, mit der ihn der Hauswart ermahnt hatte, ärgerte ihn.
»Aber ich habe es mit eigenen Ohren gehört«, versicherte Kuei. »Er hat Sie gemeint.«
Chien ging zum Fernsehgerät und drehte den Lautspecher auf. »Aber jetzt spricht er über Mißstande in Volksindien; das betrifft mich absolut nicht.«
»Was auch immer der Führer sagt, ist relevant.« Mou Kuei machte einen Vermerk in seinem Notizblock, verbeugte sich höflich und wandte sich ab. »Der Anruf, der mich dazu veranlaßte, zu Ihnen heraufzukommen und Sie wegen Ihrer Schlaffheit zu ermahnen, kam aus der Zentrale. Offenbar erachtet man Ihre Aufmerksamkeit als sehr wichtig; ich muß Sie anweisen, Ihr automatisches Aufzeichnungsgerät einzuschalten und die ersten Teile der Ansprache des Führers noch einmal anzuhören.«
Chien rülpste. Und schloß die Tür.
Zurück zum Fernseher, sagte er zu sich. Vor dem wir unsere freien Stunden
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