Die Bestie im Menschen
Monteur in die Dienste der Gesellschaft getreten. Als er dreißig Jahre alt geworden, fing es an ihm in der Werkstatt langweilig zu werden; er wollte erst als Heizer fahren, um später Lokomotivführer zu werden. Damals hatte er Victoire, die aus demselben Dorfe stammte, geheirathet. Die Jahre vergingen, er blieb Heizer, ohne gute Führung und gutes Benehmen, als Trunkenbold und Frauenjäger hatte er jetzt keine Aussicht mehr auf Carriere. Anzwanzig Male schon hätte er seinen Abschied erhalten, wenn er nicht unter dem Schutze des Präsidenten Grandmorin gestanden wäre und man sich an seine Sünden gewöhnt hätte, die er durch seine gute Laune und seine Erfahrungen als gewiegter Arbeiter stets wieder wett zu machen wußte. Er war nur zu fürchten, wenn er betrunken war, denn dann kam seine wahre Brutalität zum Vorschein, die ihn jeder schlechten That fähig machte.
»Haben Sie meine Frau wirklich gesehen?« fragte er nochmals mit der Hartnäckigkeit des Gewohnheitstrinkers, während sich sein Mund zum Grinsen öffnete.
»Ja gewiß haben wir sie gesehen,« antwortete der Unter-Inspector. »Wir haben sogar in Eurem Zimmer gespeist … Ihr habt eine brave Frau, Pecqueux. Es ist sehr unrecht von Euch, ihr untreu zu sein.«
»O wie kann man so etwas sagen,« sagte er unter noch lauterem Lachen. »Im Uebrigen will sie ja, daß ich mich amüsiren soll.«
Pecqueux sagte die Wahrheit. Victoire, die um zwei Jahre älter als er, in Folge ihres stattlichen Umfanges sehr bequem und schwerfällig geworden war, steckte ihm Fünffrancsstücke in die Taschen, damit er außerhalb des Hauses seinen Vergnügungen nachgehen konnte. Sie hatte nie unter seiner Untreue zu leiden gehabt; seine Natur zwang ihn, den Frauenzimmern nachzulaufen. Jetzt führte er übrigens ein regelmäßiges Leben mit zwei Frauen auf beiden Endstationen der Linie. In Paris hatte er seine eigene und in Havre eine zweite für die Zeit seines kurzen Aufenthaltes daselbst. Für ihre Person war Victoire genau, ja knauserig. Sie wußte alles, behandelte ihn wie eine Mutter und erzählte gern, sie leide es nicht, daß er sich mit der Andern überwerfe. Sie sorgte sogar für seine Wäsche, wenn er abfuhr; sie hätte es sich nie verzeihen können, wenn die Andere sie beschuldigt haben würde, für ihren Mann schlecht zu sorgen.
»Ganz egal,« sagte Roubaud, »schön ist es nicht von Euch. Meine Frau, die ihre Amme verehrt, wird Euch einmal ordentlich den Kopf waschen.«
Er schwieg, denn er sah aus dem Schuppen, vor welchem sie standen, eine große, dürre Frau treten, Philomène Sauvagnat, die Schwester des Depotchefs. Sie war Pecqueux’s Ersatzgattin seit einem Jahre. Beide plauderten wahrscheinlich gerade in dem Schuppen, als Pecqueux den Unter-Inspector anrief. Sie sah trotz ihrer zweiunddreißig Jahre noch jugendlich aus. Schlank und knochig gewachsen, mit platter Brust und abgezehrt vor Leidenschaft, besaß sie den länglichen Kopf einer Stute mit wollüstigen, stechenden Augen. Man hatte sie im Verdacht, daß sie trinke. Es gab keinen Beamten auf dem Bahnhof, der sie nicht schon einmal in dem kleinen Hause neben dem Maschinenschuppen, das sie mit ihrem Bruder bewohnte und sehr unsauber hielt, besucht hätte. Dieser, ein starrköpfiger Beichtbruder, aber als Beamter streng auf Disciplin haltend und von seinen Vorgesetzten sehr geschätzt, hatte schon die größten Unannehmlichkeiten dieserhalb gehabt, mehrfach war ihm schon mit Versetzung gedroht worden. Und wenn man sie auch jetzt seinetwegen duldete, so behielt er sie nur noch aus Familienrücksichten bei sich, was ihn nicht hinderte, wenn er sie einmal mit einem Manne abfaßte, so brutal zu schlagen, daß sie für todt auf der Erde liegen blieb. Zwischen ihr und Pecqueux war ein festes Verhältniß entstanden, mit welchem beide Theile zufrieden waren; sie hatte endlich Jemand gefunden, in dessen Armen sie volle Befriedigung fand, er dagegen war seiner dicken Frau überdrüssig und glücklich, diese magere entdeckt zu haben. Er brauche sich jetzt nicht weiter umzusehen, pflegte er im Scherz zu sagen. Séverine hatte für ihre Person mit Philomène gebrochen, sie glaubte das Victoire schuldig zu sein. Ihr natürlicher Stolz hatte sie schon früher von jener etwas fern gehalten, jetzt aber grüßte sie sie gar nicht mehr.
»Meinethalben gleich, Pecqueux,« meinte Philomène frech. »Ich gehe, weil Herr Roubaud Dir im Namen seiner Frau Moral predigen will.«
»Bleibe doch, er neckt mich nur,« antwortete
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