Die Bestie im Menschen
der Heizer mit gutmüthigem Lachen.
»Nein, ich danke. Ich muß Frau Lebleu die zwei frischen Eier bringen, die ich ihr versprochen habe.«
Sie sprach diesen Namen absichtlich aus, denn sie kannte die hartnäckige Rivalität zwischen der Frau des Kassirers und der des Unter-Inspectors. Sie hielt es für richtiger, sich mit der Ersteren gut zu stehen, um so die Andere noch mehr ärgern zu können. Aber sie blieb trotzdem, mit einem Male interessirt, als sie den Heizer nach dem Verlauf der Geschichte mit dem Unterpräfecten fragen hörte.
»Alles beigelegt? Sie sind also zufrieden, Herr Roubaud?«
»Sehr zufrieden.«
Pecqueux kniff seine Spitzbubenaugen zusammen.
»Sie brauchen doch nicht besorgt zu sein? Sie gewinnen Ihr Spiel ja doch immer … Nicht? Sie verstehen mich? Auch meine Frau schuldet ihm vielen Dank.«
Der Unter-Inspector unterbrach diese Erinnerung an den Präsidenten Grandmorin kurz mit der nochmaligen Frage:
»Ihr fahrt also heute Abend?«
»Ja, die Lison ist wieder hergestellt, man setzt ihr soeben die Triebstange an … Ich erwarte meinen Lokomotivführer, der seinen freien Tag ebenfalls ausgenutzt hat. Sie kennen doch Jacques Lantier? Er ist ja Ihr Landsmann.«
Einen Augenblick schien es so, als wäre Roubaud mit seinen Gedanken Gott weiß wo gewesen. Dann aber sagte er, als besänne er sich jetzt plötzlich:
»Wie, Jacques Lantier, den Lokomotivführer? … Gewiß kenne ich ihn. So auf guten Tag, guten Weg. Wir haben uns erst hier kennen gelernt, in Plasans habe ich ihn nie gesehen, er ist ja auch jünger als ich … Im letzten Herbst hat er meiner Frau einen kleinen Dienst erwiesen, er hat für sie eine Bestellung bei ihren Cousinen in Dieppe ausgerichtet … Ein befähigter Mensch, wie man sich erzählt.«
Er sprach mehr als nöthig in’s Blaue hinein. Plötzlich ging er weiter.
»Auf Wiedersehen, Pecqueux … Ich muß mal sehen, was hier los ist.«
Jetzt ging auch Philomène mit ihrem weit ausholenden Pferdetritt, während Pecqueux mit den Händen in den Hosentaschen und von dem schönen Morgen zu freundlichem Grinsen gereizt, erstaunt zurückblieb; denn schon kam der Unter-Inspector wieder zurück, nachdem er nur um den Schuppen gegangen war. »Sein Visitiren hat nicht lange gedauert,« meinte Pecqueux bei sich, »möchte wissen, was er da zu schnüffeln hatte.«
Als Roubaud die Halle wieder betrat, schlug es gerade neun Uhr. Er ging bis an’s Ende derselben, blickte in die Gepäckexpedition, ohne, wie es schien, das Gesuchte gefunden zu haben. Ebenso ungeduldig kam er zurück. Nach einander suchten seine Blicke die verschiedenen Bureaus auf. Um diese Zeit lag der Bahnhof einsam und verlassen da. Außer ihm lief Niemand dort umher. Dieser Frieden aber wirkte auf ihn nervenstörend. Er fühlte die wachsende Unruhe eines Mannes, der eine Katastrophe kommen sieht und mit brennender Ungeduld ihren Ausbruch erwartet. Seine Kaltblütigkeit war dahin, er hatte sie nicht bewahren gekonnt. Seine Augen verließen das Zifferblatt der Uhr nicht mehr. Neun Uhr, neun Uhr 5 Minuten. Gewöhnlich suchte er seine Wohnung erst um zehn Uhr auf, um zu frühstücken, wenn der Zug um neun Uhr fünfzig Minuten fort war. Heute aber ging er jetzt schon nach oben, er dachte an Séverine, die dort oben ebenso ungeduldig wartete, wie er hier unten.
Im Corridor wurde genau um diese Zeit von Frau Lebleu Philomène, die als Nachbarin ohne Hut mit zwei Eiern in der Hand auf Besuch gekommen war, die Thür geöffnet. Sie gingen aber nicht hinein und so mußte Roubaud sich entschließen, unter ihren beobachtenden Blicken seine Wohnung zu betreten. Er hatte den Schlüssel bei sich und eilte sich. Trotzdem sahen Jene in der kurzen Zeit des Aufschließens und Zuwerfens der Thür Séverine auf einem Stuhl im Eßzimmer mit müßigen Händen und bleichem Antlitz unbeweglich sitzen. Frau Lebleu zog nun Philomène in ihr Zimmer und erzählte ihr, was sie am frühen Morgen gesehen hatte: jedenfalls war die Geschichte wegen des Unterpräfecten böse abgelaufen. Weit gefehlt, erklärte ihr Philomène, sie käme deshalb her, weil sie Neues wüßte, sie hätte es soeben aus dem Munde des Unter-Inspectors selbst gehört. Nun verloren sich beide Frauen in Vermuthungen. So war es immer, wenn sie zusammentrafen, ein Klatschen ohne Ende.
»Man hat ihnen den Kopf gewaschen, meine Liebe, dafür lege ich meine Hände in’s Feuer …«
»Ach, liebe Dame, wenn wir sie doch los würden!«
Die mehr und mehr zugespitzte Feindseligkeit
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