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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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verschwunden, ebenso das kleine Mädchen. Ich bin allein– in einem völlig leeren Prüfungszimmer. Langsam stehe ich auf und drehe mich im Kreis. In keinem der Spiegel kann ich mich sehen. Ich stoße die Tür auf und gehe auf den Flur, aber der Flur ist nicht mehr der Flur– es ist jetzt ein Autobus, und alle Plätze sind besetzt.
    Ich stehe im Mittelgang und halte mich an einer Stange fest. Neben mir sitzt ein Mann mit einer Zeitung. Sein Gesicht hinter der Zeitung kann ich nicht sehen, wohl aber seine Hände. Sie sind vernarbt, es scheinen Brandwunden zu sein, und er umklammert das Papier, als würde er es am liebsten zerknüllen.
    » Kennst du diesen Kerl?«, fragt er mich plötzlich. Er tippt auf das Bild auf dem Titelblatt. Die Schlagzeile lautet: » Brutaler Mörder endlich gefasst!«
    Ich starre auf das Wort » Mörder«. Es ist schon sehr lange her, seit ich dieses Wort irgendwo gelesen habe, und allein vom Hinschauen gruselt es mich.
    Das Bild unter der Überschrift zeigt einen jungen Mann mit Bart und unauffälligen Gesichtszügen. Mir kommt es vor, als würde ich ihn kennen, ich weiß nur nicht, woher. Aber irgendwie bin ich mir sicher, dass es keine gute Idee wäre, dies dem Mann mitzuteilen.
    » Also?«, blafft er mich an. » Kennst du ihn?«
    Keine gute Idee– nein, ganz und gar keine gute Idee. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Ich klammere mich an der Stange fest, damit meine zitternden Hände mich nicht verraten. Wenn ich dem Fremden sage, dass ich den Mann aus der Zeitung kenne, wird mir etwas Entsetzliches zustoßen, das weiß ich. Ich muss ihn davon überzeugen, dass ich den Kerl nicht kenne. Ich könnte mich räuspern und mit den Schultern zucken– aber das wäre so gut wie gelogen.
    Ich räuspere mich.
    » Kennst du ihn?«, wiederholt der Fremde.
    Ich zucke mit den Schultern und gebe keine Antwort.
    » Ja oder nein?«
    Ich kriege eine Gänsehaut, dabei ist meine Angst völlig unbegründet. Das hier ist nur ein Test, keine Wirklichkeit. » Keine Ahnung«, sage ich möglichst wegwerfend. » Woher soll ich wissen, wer das ist?«
    Der Fremde steht auf und endlich sehe ich auch sein Gesicht. Er trägt eine dunkle Sonnenbrille, sein Mund ist verzerrt und seine Wangen sind genauso schlimm vernarbt wie seine Hände. Er beugt sich zu mir. Sein Atem riecht nach Zigarettenrauch. Es ist nur ein Test, rufe ich mir ins Gedächtnis. Nur ein Test.
    » Du lügst«, sagt er. » Du lügst!«
    » Tue ich nicht.«
    » Deine Augen verraten dich.«
    Ich straffe meinen Körper. » Tun sie nicht.«
    » Wenn du ihn kennst«, sagt er leise, » dann könntest du mich retten. Du könntest mich retten!«
    Ich kneife die Augen zusammen. » Tja«, sage ich entschlossen. » Ich kenne ihn aber nicht.«

3 . Kapitel
    Ich wache auf. Meine Hände sind feucht und ich habe ein schlechtes Gewissen. Ich liege auf dem Stuhl in dem Zimmer mit den Spiegeln. Als ich mich zur Seite drehe, sehe ich Tori hinter mir. Mit zusammengepressten Lippen entfernt sie die Elektroden von meinem Kopf. Ich warte darauf, dass sie etwas über den Test sagt– dass er jetzt vorbei ist, dass ich mich gut geschlagen habe, wie sollte man das auch nicht, es war ja alles nur Einbildung–, aber sie sagt kein Wort, sondern nimmt stumm die Kabel weg.
    Nervös setze ich mich auf und wische die Hände an meiner Hose ab. Ich muss etwas falsch gemacht haben. Hat Tori deshalb diesen seltsamen Blick– weil sie nicht weiß, wie sie mir beibringen soll, dass ich eine Niete bin? Ich wünschte, sie würde irgendetwas sagen.
    » Das war wirklich erstaunlich«, sagt sie schließlich. » Entschuldige mich einen Moment, ich bin gleich wieder da.«
    Erstaunlich?
    Ich ziehe die Knie hoch und presse mein Gesicht dagegen. Am liebsten würde ich weinen, Tränen wären jetzt eine echte Erleichterung, aber ich kann nicht. Wie kann man in einer Prüfung versagen, auf die man sich nicht einmal vorbereiten darf?
    Je mehr Zeit verstreicht, desto unruhiger werde ich. Alle paar Augenblicke muss ich mir die schweißnassen Hände abwischen– aber vielleicht tue ich das auch nur, um mich zu beruhigen. Und wenn sie mir nun sagt, dass ich für keine der Fraktionen infrage komme? Dann muss ich auf der Straße leben, bei den Fraktionslosen. Das schaffe ich nicht. Fraktionslos zu sein bedeutet nicht nur, ein Leben in Armut und Elend zu führen, es bedeutet auch ein Leben abseits der Gesellschaft, ohne das Wichtigste im Leben: die Gemeinschaft mit anderen.
    Meine Mutter hat es mir genau

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