Die Betrogenen
Hatte er es gewußt oder sogar herausgefordert? Es war einer von Manteuffels Lieblingskomponisten. Damit riß ihm die Geduld, jetzt war Bittnerreif, jetzt mußte er dem Popanz endgültig Luft ablassen, dem Scharlatan, der von Musik so viel verstand wie Händels Koch und kaum eine Melodie pfeifen konnte, aber immer so tat, als wäre er der Erbe Hindemiths … Der Artikel gegen Bittner war wuchtig und verfehlte seinen Eindruck auch auf Karl nicht, der sich zwischen diesen Magneten wie ein Eisenspan vorkam, falls ein hin und her gerissener Span innere Kämpfe austrug.
Seit diesem Artikel hatte Manteuffel nicht aufgehört, auch öffentlich gegen den früheren Freund zu sticheln.
Und bald wäre wohl auch Karl fällig.
Doch es kam anders, als er gefürchtet hatte, ob schlimmer oder nicht, blieb noch die Frage. Die Wintersonne glitt schon wieder höher über die Dachfirste, als es eines Nachmittags klingelte und Manteuffel in der Tür stand. Mit vagem Lächeln und Kopfnicken überreichte er Karl sein jüngstes Werk und verschwand gleich wieder, er habe noch einen Termin bei der Wiedenkopf. Daß er unzufrieden mit seiner alten Agentin war und eventuell zu Karls Chefin wechseln wollte, hatte er einmal brummend in Aussicht gestellt.
Als Karl den Band aufschlug, fand er eine Widmung von Manteuffels schöner Hand: «Dem neuen Nachbarn und geschätzten agent littéraire.»
Donnerwetter – das war mehr, als er erwarten durfte. Edles Vorsatzpapier, sogar ein Lesebändchen.
Watsons letzterFall
– ein Kriminalroman im Literatenmilieu! Sieh einer an, Manteuffel, auf seine alten Tage …
Karl machte es sich in seinem Sessel bequem und begann gleich mit der Lektüre. Wenn er einen Kamin gehabt hätte, dann flackerte darin jetzt ein Feuerchen. Und wenn sein Earl Grey nicht ausgegangen wäre, dampfte neben ihm eine Kanne Tee.
Nach den ersten Kapiteln beschlich Karl ein kleiner Verdacht. Er versuchte ihn abzuschütteln und las schneller weiter, aber der Verdacht blieb ihm auf den Fersen, er wuchs und hechelte ihm heiß in den Nacken, und endlich verwandelte er sich in häßliche Gewißheit. War es denn zu fassen! Dieser alerte Stoffel sollte
er
sein? Es gab keinen Zweifel: Manteuffel hatte eine komische Nebenfigur aus ihm gemacht. Sogar Karls nervöses Augenzucken fehlte nicht, daraus hatte er geradezu ein kleines Leitmotiv geschöpft. Und daß seine Hemdkragen abgewetzt waren und sich die Taschen ausbeulten … Da sah er nun zum ersten Mal den Pavillon des Ich, den er seit seiner Geburt behauste, mit den Augen eines zufällig Vorbeischlendernden, dem dann vor allem die feuchten Mauerflecken auffielen, der Grünspan und das schiefe Portal.
Das also war Manteuffels Postkarte. Nun, es gab Schlimmeres. Daß er – ein literarischer Agent, subtil! – einer der Mordverdächtigen war, konnte Karl sich mit Mühe sogar als Kompliment auslegen.
Ob der Verlag mit diesem Buch ganz glücklich würde? Schließlich schrie der Markt nicht nach dieser Sorte Literatur. Immerhin kamen auch Gabriel und ganz am Rande auch Bittner vor, der als Prediger auftrat. Vielleicht verkauften sie es ja als Schlüsselroman.
Aus der Nachbarwohnung erscholl
Manon Lescaut
. Manteuffel war wieder zurück. Karl erkannte das klagende Duett; es war die Sterbeszene in der amerikanischen Wüste, in die der verworrene Plot das Paar schließlich geleitet hatte.
Auch Karl hörte in letzter Zeit wieder öfter Puccini. Vor ein paar Wochen war ein Päckchen bei ihm abgegeben worden: Paolo hatte ihm all seine CDs zurückgeschickt. Wahrscheinlich argwöhnte er, Karl habe zu viel über sein Doppelleben gestreut. Der Schirm, den er ihm an jenem Abend geliehen hatte, stand noch immer in Karls Wohnung unter der Garderobe. Mit seinem Restaurant hatte Paolo sich inzwischen vergrößert und war in eine der teuersten Straßen des Westens gezogen; Karl konnte sich dem ernsten Verdacht nicht verschließen, hier werde irgendwie Geld gewaschen. Der Duce in Dur … Aus Versehen – oder als grimmiges kleines Signal – war eine CD mit albanischer Volksmusik in das Päckchen gerutscht. Karl fand sie sogar apart; sie glich dem Butterbrot mit Walnüssen, das ein Titan der französischen Kochkunst einmal genannt hatte, als er nach seinem Lieblingsgericht befragt worden war.
V.
K arl Lorentz, mit t, von der Grabbe-Gesellschaft.» Die Empfangsdame des Metropol-Hotels suchte auf ihrem Bildschirm nach dem reservierten Zimmer und händigte Karl ein Briefchen mit einer jener Plastikkarten aus,
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