Die Bettelmoenche aus Atlantis
aussieht, als hätte Herbert auf sie geschossen. Aber das wurde zum Glück von einem fixen Jungen, einem Internatsschüler, beobachtet. Der hat das dann, als die Polizei kam, richtig gestellt.«
»Salwa heißt also der eine?«
»Ja. Warum fragst du?«
»Ich rufe dich nachher an, Inge. Im Moment fehlt die Zeit. Ich habe einen Patienten auf dem Stuhl. Also bis dann.«
Er legte auf.
Der Patient, ein junger Mann, hatte brav den Mund aufgehalten.
Inzwischen roch der ganze Behandlungsraum nach Whisky. Aber das störte den Zahnarzt nicht. Er kannte seine Pappenheimer. Dieser Patient hier war Amateur-Rennfahrer. Er galt als einer der Waghalsigsten, als Mann ohne Nerven. Allerdings – wenn er zum Zahnarzt musste, machte er sich fast in die Hose. Und er kam nie, ohne sich vorher mit kräftigem Schnaps Mut anzutrinken. Selbst jetzt saß er mit bleichem Gesicht und verkrampft auf dem Behandlungsstuhl. Schweiß perlte ihm auf der Stirn.
»Wir sind gleich fertig«, sagte Dr. Reiss. »Nur noch ein kleines bisschen bohren.«
Der Rennfahrer überstand das, ohne in Ohnmacht zu fallen. Mit erleichtertem Seufzen kletterte er vom Stuhl. »Heute nichts mehr essen. Und nicht rauchen.«
Dr. Reiss verabschiedete seinen Patienten.
Dann sah er in den Warteraum.
Salwa war noch nicht eingetroffen, aber ein anderer Patient wartete. Dr. Reiss wusste: Ihn zu behandeln war problemlos. Der fand es sogar schön, wenn gebohrt wurde. »Ein angenehmes Kribbeln«, hatte er glattweg mal gesagt.
Nach zehn Minuten war die Behandlung beendet.
Im Warteraum tigerte inzwischen der letzte Patient dieses Tages auf und ab.
»Herr Salwa?«, fragte Dr. Reiss.
»Wer denn sonst!«, antwortete der Bettelmönch patzig. Er hatte einige Minuten warten müssen und war geladen vor Wut. »Ich dachte, Sie wüssten, wer ich bin.«
»Jetzt weiß ich’s«, sagte Dr. Reiss. »Sie haben also Schmerzen?«
»Wie irre! Sonst hätte ich Sie um diese Zeit nicht mehr belästigt. Und um es vorher zu sagen: Ich bin Privatpatient. Ich zahle sofort und in bar.«
»Sie zahlen erst, wenn ich Ihnen eine Rechnung schicke«, stellte der Zahnarzt richtig. Und er wusste schon in diesem Moment, dass er dem Kerl nie eine schicken würde. Er musterte das grobe Buckelgesicht und die bösartigen Augen.
»So, Herr Salwa! Dann kommen Sie mal herein.«
*
Als der Bettelmönch zum Landhaus zurückkehrte, war er schmerzfrei. Die Wirkung der Betäubungsspritze hielt an. Rund um den kranken Zahn war der Kiefer wie taub.
Die nächste Stunde verbrachten Salwa und Thibar mit Geldzählen. Das Ergebnis stellte sie zufrieden. Es war ein einträglicher Tag mit fetten Einkünften gewesen. Gab es doch immer noch genug Dumme, die sich von den blauen Kutten täuschen ließen und echte Frömmigkeit in den kahl geschorenen Köpfen vermuteten.
Um 22.31 Uhr – Salwa hatte gerade seine 3000-Mark-Armbanduhr zu Rate gezogen – schoss glühender Schmerz durch die rechte Seite des Kiefers.
Salwa jaulte wie ein Hund, dessen Schwanz versehentlich zwischen Tür und Füllung eingeklemmt wird.
»Was ist?«, fragte Thibar.
»Frag nicht so dämlich!«, schrie Salwa. »Mein Zahn!« »Ich denke, da ist alles...«
»Was weiß ich!« Beidhändig packte Salwa seinen Kiefer, als wollte er ihn ausreißen. »Auuuuuu! Das ist ja nicht auszuhalten. Ich gehe die Wände hoch! Das darf nicht wahr sein! Was hat dieser Klempner gemacht? Es ist schlimmer als vorher. Viel schlimmer!«
Er hielt sich das Gesicht, hüpfte von einem Bein aufs andere, trat wütend gegen einen weich gepolsterten Sessel und dann – sehr unüberlegt – gegen den Geldschrank.
Dass er – wie alle Bettelmönche – Sandalen trug, aus denen vorn die nackten Zehen hervorragten, vergaß er.
Sein Gebrüll hallte durchs Haus, dass sich in den anderen Räumen die Bettelmönche erschrocken die Ohren zuhielten.
»O Mann!«, sagte Thibar. »Du hast aber Pech heute. Vielleicht hilft das?«
Er griff hinters Bett und holte eine Schnapsflasche hervor.
Salwa trank, als wäre es Wasser. Er verschluckte sich und hustete einen alkoholhaltigen Sprühregen. Aber dem Zahn half das nicht.
»Dieser Reiss... Ich muss nochmal zu ihm. Ich ... Aber vorher rufe ich an. O verflucht!«
Thibar begleitete ihn zum Telefon.
Bei der Praxis versuchte Salwa es gar nicht erst. Dafür war es viel zu spät. Er wählte gleich die Privatnummer.
Minuten vergingen.
»Dieser Pfuscher schläft schon. Den könnte ich ...« In diesem Moment wurde abgenommen.
»Regina Reiss«,
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