Die Bettelmoenche aus Atlantis
spuckte ins Waschbecken. Aber der Schmerz ließ nicht nach.
»Jetzt ist mir alles egal«, brüllte er. »Ich gehe heute noch zum Zahnarzt.«
Einige Bettelmönche, die in der Halle herumstanden und sich über das von Jeli gekochte Abendessen ärgerten, zogen die Köpfe ein. Ein schlecht gelaunter Salwa bedeutete höchste Gefahr.
»Jeli!«, brüllte er. »Das Telefonbuch!«
Jeli war nach zehn Sekunden zur Stelle.
»Ruf einen Zahnarzt an!«, gebot Salwa. »Sag, dass ich jetzt noch vorbeikommen muss. Ein Notfall. Es geht um Schmerzbeseitigung. Sag, dass ich Privatpatient bin und keine Rechnung brauche. Dann macht er’s bestimmt.«
Jeli nickte. »Aber – ich kenne keinen Zahnarzt.«
»Ich auch nicht, du Idiot! Versuch’s beim Erstbesten.«
Jeli zuckte zusammen. Er blätterte durch das 1740 Seiten starke Telefonbuch der Großstadt, fand aber keinen Zahnarzt – auch nicht unter Z.
Dann huschte ein Geistesblitz durch sein träges Gehirn. Er holte das Branchentelefonbuch und konnte dann auch gleich unter Dutzenden von Zahnärzten wählen.
»Hier ist ein Dr. Sebastian Reiss«, schlug er vor. »Der hätte heute Sprechstunde – sogar bis 19 Uhr. Vielleicht ist er noch in der Praxis.«
»Ruf ihn an!«, zischte Salwa durch den linken Mundwinkel, der auch schon ganz buckelig war.
Jeli sprang zum Telefon und war gleich zurück.
»Dr. Reiss ist in der Praxis, hat auch noch Patienten da. Sollst sofort vorbeikommen. Wilhelmi-Straße 2. Ich habe deinen Namen genannt. Er wollte auch deinen Vornamen wissen. Ich sagte, dass du nur Salwa heißt. Weil du zu den Jüngern aus Atlantis gehörst. Da wusste er sofort Bescheid. Er sagte noch, du sollst dich ins Wartezimmer setzen. Denn in der Anmeldung wäre niemand mehr. Seine Helferinnen hätten schon Feierabend gemacht.«
Salwa nickte. Er rannte die Treppe hinauf in das Zimmer, das er sich mit Thibar teilte.
Ein altmodischer Geldschrank stand in der Ecke. Nur Salwa und Thibar kannten die Zahlenkombination des Schlosses.
Salwa öffnete ihn. Er enthielt eine Menge Geld: die Betteleinkünfte von fast einer Woche. Allerdings – sie hatten das Münzgeld bereits in Scheine umgewechselt.
Er griff hinein. Unter der blauen Kutte stopfte er sich die Taschen voll Geld.
Im Sturmschritt verließ er das Haus. Er stieg in den Kleinbus, hielt sich den schmerzenden Kiefer, fluchte lästerlich, startete und wendete mit jaulenden Reifen.
Jeli, dachte er, ist ja sonst dumm wie Stroh. Aber diesmal hat er mit diesem Dr. Reiss auf Anhieb den richtigen erwischt.
Den richtigen erwischt? Da irrte sich der JAA-Aufseher gewaltig. Eine schlechtere Wahl hätte Jeli nicht treffen können...
Denn gerade in diesem Moment klingelte bei Dr. Reiss das Telefon.
Es stand im Praxisraum auf dem Schreibtisch.
Dr. Reiss, ein stämmiger Mann von 45 Jahren, sagte zu dem Patienten auf dem Behandlungsstuhl: »Bitte, den Mund offen lassen.«
Er trat zum Telefon, nahm den Hörer ab und meldete sich.
»Sebastian«, schluchzte eine Frauenstimme, »ich bin völligverzweifelt. Ich komme eben aus dem Krankenhaus. Herbert liegt dort mit Gehirnerschütterung. Die Bettelmönche haben ihn zusammengeschlagen.«
»Was?« Dr. Reiss traute seinen Ohren nicht. »Das kann doch nicht möglich sein, Inge.«
Er hatte Inge Widmanns Stimme sofort erkannt. Herbert Widmann war sein Jugendfreund. Und diese Freundschaft hatte sich über die Jahre gerettet und würde bestimmt ein Leben lang halten. Auch die Ehefrauen – Inge Widmann und Sabine Reiss – verstanden sich ausgezeichnet, was ja nicht immer selbstverständlich ist.
»Herbert hat den Kopf verloren«, berichtete sie, immer noch schluchzend. »Mit seinem Jagdgewehr ist er zu dem Landhaus der Bettelmönche gefahren. Das Gewehr war zwar ungeladen, aber offenbar hat er sie bedroht, diese Jünger aus Atlantis. Wo Uwe sei, wollte er wissen. Erst von der Polizei habe ich das alles erfahren. Jedenfalls – sie haben ihn niedergeschlagen. Er hat eine schwere Gehirnerschütterung und muss für Wochen im Bett bleiben. Auch das also noch! Nicht nur, dass die unseren Uwe verschleppt haben – jetzt ist auch Herbert halb tot. Offenbar sind drei dieser Kerle über ihn hergefallen: Ein gewisser Jeli, ein gewisser Thibar und ein gewisser Salwa. Dann haben sie auch noch...«
»Sagtest du Salwa?«, unterbrach er sie.
»Ja. Die haben so seltsame Namen. Herbert wurde bewusstlos geschlagen. Dann haben diese Verbrecher sein Gewehr geladen. In die Wand haben sie gefeuert. Damit es so
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