Die Beute
gedacht. Die Limousine ist gebucht und ich habe einen Tisch im L’Avenue reservieren lassen – magst du französisches Essen?«
»Oh …« Jenny fühlte sich so schlaff wie Seegras. »Oh … sicher.«
»Toll. Und dein Kleid hat welche Farbe?«
Audrey war herangekommen und beugte ihren kupferfarbenen Kopf dicht über den Hörer. »Sag ihm, golden« , flüsterte sie.
»Golden«, wiederholte Jenny automatisch, dann sah sie Audrey an. »Oh nein, nicht dieses Kleid«, flüsterte sie heftig.
»Was? Gold ist großartig. Ich seh dich dann morgen.« Jenny legte benommen auf. Sie hatte es nicht über sich gebracht.
»Siehst du?«, bemerkte Audrey grimmig. »Wir sitzen in einem Boot. Hör auf, so ein Gesicht zu machen, Michael. Ich mag Eric nicht besonders.«
Dee reckte sich. »Welchen Unterschied macht es eigentlich, wo ihr seid? Sie können sowieso in unsere Häuser kommen, wie sie gerade wollen.«
Es stimmte. Und es war nicht besonders tröstlich. Jenny konnte sich immer noch nicht vorstellen, zum Ball zu gehen – oder wie sie jetzt noch aus der Sache rauskommen sollte.
»Ich kann nicht dieses Kleid tragen«, sagte sie zu Audrey. »Tom wollte nicht mal, dass ich es anziehe, wenn ich mit ihm ausging. Wenn er hört, dass ich es für Brian anhatte, wird er einen Anfall kriegen …« Sie schwieg, als plötzlich eine neue Hoffnung in ihr aufkeimte.
Audrey lächelte wissend. »Dann«, sagte sie spitz, »wird der Schulball vielleicht etwas genützt haben.«
Jenny nahm das fließende Gold, es war nur eine Handvoll, und legte es wieder weg. Sie konnte selbst kaum glauben, was sie da tat.
Andererseits hatte Dee recht. Welchen Unterschied machte es, wo Jenny war? Sie war nirgendwo sicher. Und das Monarch -Hotel war wenigstens ein großer, öffentlicher Ort. Sie und Audrey würden unter Hunderten von Menschen sein.
Der vergangene Abend und der heutige Tag waren sehr ruhig verlaufen. Keine Träume, keine Störungen. Die Ruhe vor dem Sturm? Oder vielleicht … vielleicht war ein Wunder geschehen und all die schlimmen Dinge waren verschwunden. Spontan in die Schattenwelt zur ückgekehrt. Vielleicht würde Julian sie von jetzt an in Ruhe lassen.
Mach dich nicht lächerlich, Jenny.
Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Die vielen Sorgen hatten ihr jegliche Energie geraubt; sie hatte keine Kraft mehr, um sich selbst aus dieser fatalistischen Stimmung zu holen.
Erneut griff sie nach dem fließenden Gold. »Dieses Kleid.«
Es war aus Goldfolie, auf der ein feines Muster von Blumen und Blättern zu sehen war, wenn das Licht aus einem bestimmten Winkel darauf fiel – beinahe wie ein Wandteppich. Die Farbe war satt und schimmernd, der dünne Stoff seidenweich. Audrey war ganz verrückt danach gewesen, aber Audrey selbst trug stets nur Schwarz und Weiß.
»Du musst es kaufen«, hatte sie zu Jenny gesagt, den glänzenden Stoff unter den Lichtern der Boutique hin-und hergeschoben und die Schar der Verkäuferinnen im Schlepptau ignoriert. Audrey wurde immer von Verkäuferinnen umringt, wenn sie einkaufen ging.
»Aber Tom …«
»Vergiss Tom. Wann wirst du endlich aufhören, dir von ihm vorschreiben zu lassen, was du anziehst? Du musst dieses Kleid kaufen. Zu deinem goldenen Teint und deinem Haar wird es einfach perfekt aussehen.«
Also hatte Jenny es gekauft. Aber sie hatte recht behalten; Tom erlaubte ihr nicht, es zum Schulball zu tragen. Es war zu kurz und zu eng; es schmiegte sich um sie wie eine glänzende zweite Haut. Ihre Beine sahen darunter so lang aus wie Dees.
Jetzt zog sie es an und griff nach ihrer Bürste. Sie beugte sich vor, strich damit durch ihr Haar, hielt dann inne und warf ihren Kopf wieder zurück. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, um sie aufzuschütteln.
Dann trat sie vor den hohen Ahornspiegel. Sie musste zugeben – das Kleid war ein Meisterwerk. Ein unverschämt glitzerndes Kunstwerk. Ihr dichtes goldenes Haar umspielte verführerisch ihr Gesicht, ganz anders als ihr gewohnter, braver Look. Ihr ganzes Erscheinungsbild schien wie in Gold getaucht.
Sie sah aus wie eine Kronprinzessin. Sie fühlte sich wie ein jungfräuliches Opfer.
»Jenny.« Ihre Mutter klopfte an ihre Zimmertür. »Er ist jetzt da.«
Jenny warf einen letzten verzweifelten Blick in den Spiegel. »In Ordnung«, sagte sie und kam heraus.
Brian klappte der Unterkiefer herunter. Jennys Vater ebenfalls.
»Komm schon, Jim«, sagte ihre Mutter. Sie führte ihren Mann in die Küche und erklärte ihm, wie
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