Die bezaubernde Rivalin
Minuten streichen und es noch einmal versuchen, ohne an die Leichen im C & F-Keller zu denken?“
Die Leichen? überlegte India. Was denn für Leichen? Aber nein, sie würde nicht danach fragen. Zwar wollte sie nach wie vor hinter die C & F-Geheimnisse kommen, aber nicht mehr heute. Jordan und sie hatten es geschafft, den Abend zu retten – hatten das Unmögliche möglich gemacht und die Uhr zurückgedreht. Also bloß kein Thema anschneiden, das irgendwie mit dem Warenhaus zu tun hatte.
India zermarterte sich den Kopf, um einen Gesprächsstoff zu finden. Irgendetwas, das Jordans Augen wieder glänzen ließ. Kricket?
Gute Idee! Das war bestimmt unverfänglich, und wenn sie etwas dazu sagte, bestand auch nicht die Gefahr, dass Jordan es ernst nahm. Also räusperte sich India ein wenig befangen und fragte: „Was glaubst du, schafft es England, sich für das ‚Test Match‘ zu qualifizieren?“
„Meinst du etwa den ‚Lord’s Test‘?“ Um Jordans Augen bildeten sich wieder die kleinen Lachfältchen, und India durchflutete ein ganz warmes Gefühl. Alles würde wieder gut.
„Gibt es denn mehr als ein Ausscheidungsspiel?“, fragte India, die keine Ahnung von Kricket hatte.
„Ich denke schon“, sagte Jordan spöttisch.
„Verdammt, Jordan, ich wollte dich nur auf andere Gedanken bringen! Da blieb mir als Thema nur Kricket oder das Wetter, und ich dachte, Kricket interessiert dich mehr. Also, jetzt erklär mir das mit den Ausscheidungsspielen.“
„Ich mache noch etwas Besseres, ich nehme dich mit zum Lord’s Test.“
„Ehrlich?“, fragte India und versuchte, begeistert zu klingen. Aber dann erinnerte sie sich vage, dass dieser Lord’s Test sechs Tage dauerte. So lange wollte sie bestimmt nicht auf harten Stadionsitzen verbringen und fragte jetzt scheinheilig: „Ist es nicht furchtbar schwer, Karten dafür zu bekommen? Ich möchte einem echten Fan nicht den Platz wegnehmen.“
Jordan warf den Kopf zurück und lachte. „Ich schätze mal, das heißt, du willst lieber nicht dahin.“
„Es tut mir leid, ich dachte, über Kricket zu reden sei unverfänglich.“
„Wir müssen uns doch nicht unbedingt unterhalten.“ Er legte ihr einen Arm um die Schultern und drückte India an sich.
Ein schönes Gefühl! dachte India, schmiegte sich an ihn und sagte: „Nein, das müssen wir nicht.“ Dann setzten sie ihren Weg fort. Aber diesmal gingen sie ganz gemütlich weiter, und das Schweigen zwischen ihnen war auch kein bisschen unangenehm, sondern einfach nur friedlich.
Viel zu schnell kamen sie auf Höhe von Westminster an, wohin Jordan seinen Chauffeur bestellt hatte. Die Männer wechselten einige Worte, und India rutschte schon einmal auf die Sitzbank. „Vielen Dank für den schönen Abend“, sagte sie, als Jordan sich zu ihr gesellte. Das Konzert war einfach wunderbar. Ich hätte es um nichts in der Welt missen mögen.“
„Darauf habe ich spekuliert.“ Auf Indias verwunderten Blick hin ergänzte er: „Dass dich die Aussicht auf dieses Konzert vergessen lassen würde, wer dich dahin begleitet.“
„Nun, die Begleitung war … ganz okay.“ India machte eine Handbewegung, die ihre Zweifel ausdrückte, lächelte dabei allerdings so freundlich, dass Jordan verstehen musste, wie sehr sie seine Gesellschaft genossen hatte. Aber dann fiel ihr die Sache auf der Brücke wieder ein, und sie hatte den Eindruck, noch einmal darauf zu sprechen kommen zu müssen. „Ich wünschte nur …“
„Ich weiß“, sagte Jordan, nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. Danach hielt er sie fest, bis sie bei Indias Apartmenthaus ankamen. Jordan begleitete India zur Wohnungstür und wartete, bis sie die Alarmanlage ausgeschaltet hatte. Als India Jordans Jackett auszog, lehnte er im Türrahmen und betrachtete sie aus halb geschlossenen Lidern. Der Blick war dazu angetan, in ihr alle Sinne zu wecken.
Jordan hatte recht gehabt, dass drei Jahre und zwei Monate eine viel zu lange Zeit waren, um ohne Sex zu sein. Aber das war nicht der Grund, warum India ihn am liebsten am Kragen gepackt und in ihr Schlafzimmer gezogen hätte, um dann eine Woche lang mit ihm dort zu bleiben.
Was sie für Jordan empfand, ging weit über sexuelle Anziehungskraft hinaus. Die war einfach die körperliche Bestätigung dafür, dass sie in Jordan einen Seelenverwandten gefunden hatte. Monatelang hatte er sie beschäftigt und ihr Handeln beeinflusst. Jeden Tag hatte sie seine Fotografie angesehen und sich gefragt, was sie wohl tun müsste,
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