Die bezaubernde Rivalin
erklärte Jordan und ging zu einer großen Limousine, die am Straßenrand geparkt war. Dann kehrte er zu India zurück und hakte sich bei ihr unter, und eine Zeit lang schlenderten sie schweigend nebeneinander her. Normalerweise war India froh, nach einem Konzert ihren Eindrücken nachhängen zu können. Aber an diesem Abend hatte sie die Violinvirtuosin schon während des Konzerts vergessen … als sie Jordans Blick bemerkt hatte. Der war irgendwie offen und ehrlich gewesen und nicht dazu angetan, sie zu verzaubern. Selbst jetzt noch, während sie neben Jordan herging, hatte sie den Eindruck – wie zuvor im Halbdunkel der Konzerthalle –, ihm in die Seele blicken zu können. Dabei hatte er so betroffen gewirkt, dass sie am liebsten sein Gesicht umfasst und ihn geküsst hätte, um ihm deutlich zu machen, dass schon alles gut würde, wenn sie nur zusammenhielten.
Verrückt, oder? Aber verständlich, wenn man überlegte, welches Hochgefühl ihr die Musik zuvor vermittelt hatte. Auch jetzt meinte sie zu wissen, was Jordan dachte, spürte das Verlangen, das er ihr entgegenbrachte.
„Englisch oder französisch?“, fragte er da unvermittelt und riss India aus ihren Gedanken.
Inzwischen hatten sie von India unbemerkt den Hotdog-Stand erreicht, und auf ihren empörten Blick hin fügte Jordan hinzu: „Den Senf, meine ich.“
„Ach so, französischen bitte“, sagte India, und Jordan lächelte amüsiert.
„Was ist denn?“
„Das habe ich mir schon gedacht.“
„Willst du damit sagen, ich wäre berechenbar?“
„Du bist alles Mögliche, nur nicht das. Nein, ich wollte damit nur andeuten, dass du dich nie mit der einfachen Lösung zufriedengibst.“
Jordan bestellte zwei Hotdogs und vergaß auch Indias doppelte Portion Zwiebeln nicht.
Nachdem er ihr den Hotdog gereicht hatte, fing sie einen Zwiebelring auf, den sie sich gleich darauf in den Mund schob, bevor sie sich genüsslich die Finger ableckte und über die Brücke zu laufen begann. Dann biss sie herzhaft in den Hotdog und erklärte schließlich: „Auf jeden Fall bin ich keine Frau, die so leicht aufgibt, besonders dann nicht, wenn es um mein Warenhaus geht.“
„Vergiss C & F für heute Abend doch einmal! Mich interessiert mehr, wer du bist“, sagte Jordan und dachte: Der klassische Eröffnungszug, wenn man eine Frau ins Bett bekommen wollte.
„Du weißt doch schon alles über mich, Jordan. Bin ich für dich nicht wie ein offenes Buch, oder sollte ich sagen wie eine offene Akte mit Zeitungsartikeln?“
„Die sind im Berichtstil gehalten und geben nur das Gerüst einer Geschichte wieder. Da ist kein Gefühl drin, kein Herzschmerz.“ Sie schlenderten einige Meter weiter, bevor Jordan India aufforderte, ihm von ihrer Mutter zu erzählen.
„Wahrscheinlich weißt du genauso viel von ihr wie ich“, sagte India und überlegte, ob er ihr jetzt tatsächlich wehtun wollte.
„Da muss es doch noch mehr geben, als in den Zeitungsartikeln steht.“
India zuckte die Schultern, blieb stehen und lehnte sich ans Brückengeländer. „Sie hat meinen Vater in Indien kennengelernt. Beide waren damals Hippies, jung und übermütig. Dann ist dein Großvater tödlich verunglückt, und für meine Eltern begann der Ernst des Lebens.“ India leckte Senf von ihren Fingern und überlegte, wie Jordans Mutter damals wohl auf den Tod
ihres
Vaters reagiert hatte.
Schon der Herzanfall von Indias Vater hatte alles durcheinandergebracht und ihr und ihren Schwestern das Leben schwer gemacht. Doch ihr Vater war wieder gesund geworden, auch wenn er sich jetzt merkwürdige Reiseziele setzte.
Pakistan!
Ob er wohl auf der Suche nach seiner Jugend war?
Aber wenn er nun gestorben wäre, wie hätten sie und ihre Schwestern sich dann gefühlt? Wären sie mit dem Verlust klargekommen? Wäre es ihnen überhaupt noch wichtig gewesen, dass man ihnen die Leitung des Warenhauses entziehen wollte?
India wusste es nicht und sagte schließlich: „Das muss für deine Mutter damals ganz schön schwer gewesen sein. Hatte sie denn jemand, der sie getröstet hat?“
„Sie hatte ihre Schwestern: Nialls und Brams Mütter.“
„Hat sie sich denn auch mit ihnen verstanden?“
Jordan zuckte die Schultern. „Na ja, meine Tanten haben getan, was sie konnten. Aber sie waren beide verheiratet. Die eine lebte in Schottland und die andere in Norfolk. Ihre Kinder sind damals noch klein gewesen.“
„Ich verstehe, deine Mutter hatte also nur dich?“
„Nicht einmal das. Ich war damals sieben
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