Die Bibel
längst verwirklicht.
Die Sadduzäer sind die staatstragenden Kreise in Israel. Sie bilden die reiche Oberschicht der Jerusalemer Bevölkerung und stellen vor allem den priesterlichen Hochadel. Sie geben nichts auf die Weiterentwicklung und zeitgemäße Interpretation der Tora, sondern halten sich an die Buchstaben des Gesetzes. Wo dieses Schlupflöcher bietet, machen sie davon Gebrauch. Wo es nicht hinreicht, folgen sie ihrem Interesse. Das ist juristisch einwandfrei.
Die Sadduzäer sind stark an die hellenistisch-römische Welt angepasste Pragmatiker – «Realpolitiker», würde man heute sagen. Sie haben Erfahrung mit der Macht und der Politik, können gut mit den Römern, ziehen daraus Vorteile für sich selbst, aber auch fürs Volk. Daher sind die Sadduzäer darauf bedacht, dass niemand durch Störung des Friedens zwischen Israel und der Besatzungsmacht Repressalien gegen die israelische Selbstverwaltung heraufbeschwört. Als privilegierte Nutznießer der bestehenden Ordnung haben die Sadduzäer kein Interesse an deren Veränderung. Ihre Welt ist in Ordnung.
Ganz anders die Zeloten. Sie lehnen die römische Fremdherrschaft radikal ab und erwarten einen Messias, der in Macht und Herrlichkeit erscheint, die Römer aus dem Land jagt und in Israel das Reich Gottes errichtet. Sie warten so ungeduldig, dass sie schließlich das neue Reich mit Gewalt selbst herbeiführen wollen und hoffen, damit das Eingreifen Gottes zu provozieren.
Der friedfertige Wanderprediger Jesus kann für sie schon deshalb nicht der Messias sein, weil er gar nicht in der Lage wäre, die Römer zu vertreiben. Und die Zeloten können für Jesus keine Verbündeten sein, weil er sieht:
Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen
. Und mit den Steuern an den römischen Kaiser hat Jesusebenfalls kein Problem:
Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.
Am ehesten noch könnte sich Jesus mit den Essenern verbünden. Die Essener sind jüdische Mönche. Sie haben sich aus der Gesellschaft in Klöster zurückgezogen, wo sie einem streng geregelten Leben nachgehen – Gebet, Schriftauslegung, Arbeit. Die Arbeit beschränkt sich auf Handwerk und Ackerbau. Der Orden lebt in Gütergemeinschaft, und seine Mitglieder erwarten den Untergang der Welt, die Auferstehung der Toten und ein Weltgericht.
Auch Jesus erwartet das Reich Gottes, aber nicht im Kloster, sondern mitten in der Welt, und er bindet den Anbruch des Reiches Gottes an seine Person. Mit ihm habe es bereits begonnen, sagt er. Und damit gerät er nicht nur in Widerspruch zu allen Gruppen seiner Zeit, sondern geradezu in Teufels Küche. Dieser Anspruch, dass Gott durch ihn seine Herrschaft aufrichtet, ist für alle führenden Theologen Israels eine skandalöse Gotteslästerung. Nach dem Gesetz ist so etwas mit dem Tod zu ahnden.
Es war aber zwei Tage vor dem Passah und dem Fest der ungesäuerten Brote. Und die obersten Priester und die Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List ergreifen und töten könnten. Sie sprachen aber: Nicht während des Festes, damit kein Aufruhr unter dem Volk entsteht
.
Die obersten Priester und Schriftgelehrten hatten also einen Entschluss gefasst. Jesus musste weg. In Israel regierte nicht mehr Gott, sondern, wie überall, ein System. Ein System, das seinen eigenen Regeln folgte und in dem jeder gemäß der ihm zugewiesenen Aufgabe funktionierte. Israel war in der normalen Welt angekommen.
Von allen verlassen
Die Tage vor dem jüdischen Passahfest in Jerusalem sind Chaostage. Aus allen Himmelsrichtungen strömen die Pilger in die Stadt. Sie sind freudig erregt. Viele kommen in der Erwartung, dass etwas Aufregendes passiert, Zeichen und Wunder geschehen, vielleicht sogar der lange erwartete Messias erscheint und endlich sein neues Reich errichtet. Natürlich sind auch die Zeloten da, um Stimmung gegen die Römer zu machen und Kämpfer für den bewaffneten Aufstand zu rekrutieren. Die Jerusalemer Kaufleute dagegen erzielen an diesen Tagen ihre höchsten Umsätze und möchten bei ihren Geschäften nicht von den Verrückten gestört werden. Spannung liegt in der trockenen Luft. Der geringste Funke genügt, um ein Feuer zu entzünden.
Die Römer kennen das. Für sie heißt das: Die Sicherheitslage ist «angespannt». Mit größeren oder kleineren Scharmützeln ist immer zu rechnen, vielleicht sogar mit richtigen Aufständen. Darum kommt Roms Statthalter Pontius Pilatus, der sonst in Cäsarea residiert, nach Jerusalem und bringt
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