Die Bibel
viele Soldaten mit.
Auch die Pharisäer und Schriftgelehrten stehen unter Spannung. Was im Verlauf vieler Beratungen immer heftiger gefordert wurde – Jesus muss weg –, soll jetzt, kurz vor Passah, geschehen. Sie müssen Jesus in ihre Gewalt bringen, ohne viel Aufsehen zu erregen, denn er hat eine beträchtliche Zahl an Sympathisanten. Ausgerechnet so kurz vor Passah ist das riskant. Andererseits ist nur während der Festtage der römische Statthalter in Jerusalem, nur er kann ein Todesurteil verhängen, und darum muss es jetzt geschehen, schnell, und eben in aller Heimlichkeit.
Man müsste wissen, wo sich Jesus aufhält, was er vorhat, welche Plätze er aufsucht. Man bräuchte einen Verräter. Und findet ihn in Judas Ischariot, einem der zwölf Jünger. Für dreißig Silberlinge ist er bereit, die Häscher im richtigen Moment an den richtigen Ortzu führen. Da sie Jesus nicht kennen und daher nicht wissen, wen aus der Gruppe sie festnehmen sollen, sagt er:
Der, den ich küssen werde, der ist es.
Am Donnerstag vor Passah, dem ersten Tag der ungesäuerten Brote, wird das Passahlamm geschlachtet. Abends trifft sich Jesus mit seinen Jüngern, um mit diesen im Haus eines Freundes das Mahl einzunehmen, das letzte Abendmahl.
Was von jetzt an geschieht, ist unklar. Weder Jesus noch die Jünger, außer Judas, werden an diesem Abend gewusst haben, dass dies ihr letztes gemeinsames Mahl ist. Auch vom Verräter Judas hat Jesus wahrscheinlich nichts gewusst.
Die Evangelien erzählen es anders. Sie wurden ja erst viel später geschrieben, und keineswegs von Zeitzeugen oder gar den Jüngern Jesu. Wer die Verfasser der Evangelien sind, wissen wir nicht genau, auch wenn durch die Namensgebung so getan wird, ein Mensch namens Markus habe das Markus-Evangelium geschrieben, und die Verfasser der anderen drei hießen Lukas, Matthäus und Johannes.
Auch die Entstehungszeiten der Evangelien kennen wir nicht genau. Vom Markus-Evangelium nehmen die Theologen an, es sei um 70 n. Chr. geschrieben worden, die anderen drei, Matthäus, Lukas und Johannes, noch später. Strittig ist die Entstehungszeit des Johannes-Evangeliums. Manche datieren es auf 70 n. Chr., andere auf 100 oder 150 n. Chr.
So lange nach den eigentlichen Geschehnissen ist es normal, dass es Widersprüche gibt. Schon die Zeitzeugen werden sich verschieden erinnert haben. Jene, die nicht mehr dabei waren und auf die bloßen Erzählungen angewiesen waren, haben beim Weitererzählen vielleicht andere Akzente gesetzt, manches in den Hintergrund gerückt oder ganz vergessen, anderes besonders herausgestellt, je nach der Situation, in der sie erzählten.
Und außerdem haben sie alle Geschichten vom eigentlichen Ereignis her erzählt. Dieses «Eigentliche» war nicht die Kreuzigung,auch nicht das Leben Jesu davor, sondern es war die Auferstehung. Sie stand im Mittelpunkt der Erzählungen, und es wurde nicht wertfrei erzählt, um etwa Geschichtsunterricht zu erteilen, sondern in der Absicht, Glauben zu wecken, die Menschen zu Christus zu bekehren. Historische Fakten traten daher zwangsläufig in den Hintergrund, bildeten oft nur noch den Anlass für Deutungen der Gemeinde, und diese Deutungen wurden als die eigentliche Wahrheit erzählt. Diese Deutungen sind auch die eigentliche Wahrheit der Christen.
Wenn also die Evangelien Jesus nun kurz vor seiner Gefangennahme als Herrn der Lage schildern, der genau weiß, was ihm bevorsteht und was er zu tun hat, dann ist das bereits Deutung, nicht mehr historisches Faktum. Dass er in Todesgefahr schwebt, wird Jesus wohl tatsächlich schon lange ahnen. Dass aber jener Donnerstag den Anfang vom Ende markieren sollte, dürfte auch ihn überrascht haben.
Letztlich ist es nicht so wichtig, letztlich hat es seine eigene – literarische – Wahrheit, wenn die Evangelien berichten, Jesus habe an jenem Abend das Brot gebrochen, den Segen gesprochen und an seine Jünger die berühmten Worte gerichtet:
Nehmt, esst! Das ist mein Leib
. Dann hat er den Kelch genommen, gedankt und gesagt:
Trinkt alle daraus! Denn das ist mein Blut, das des neuen Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden
. Seine Anhänger werden sich nach seinem Tod dieses letzten Abendmahls und seiner Worte erinnern, es jeden Sonntag feiern bis zum heutigen Tag und die Kirche als den «Leib Christi» verstehen.
Und auch das andere Wort bleibt unvergessen:
Einer von euch wird mich verraten
. Die Jünger verstehen es nicht, sind ganz
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