Die Bibel
handelte.
Als in der Kirche wegen heftiger Auseinandersetzungen über Glaubensfragen Abspaltungen drohten, griff der große Bruder sofort ein, wollte über kaiserliche Sondergerichte die Streitigkeitenschlichten, die im Staat geltende Wahrheit festlegen, notfalls durch Befehl, denn der Bruder Kaiser war nicht nur am Wohlergehen der Kirche interessiert, sondern auch an deren Nutzen für sein Reich und seine Herrschaft. Eine starke Kirche im Dienste des Staates war – bewusst oder unbewusst – sein Ziel. Der Kaiser hat es im Wesentlichen erreicht.
Der römische Bischof Miltiades war wenigstens noch wachsam genug, um dafür zu sorgen, dass aus den kaiserlichen Gerichten kirchliche Synoden wurden. Konstantin nahm es hin, behandelte nun aber die Synode wie ein kaiserliches Gericht.
Er
war es, der die erste ökumenische Synode nach Nicäa berief,
er
setzte die Tagesordnung fest,
er
leitete die Synode, und
er
sorgte für die Durchführung der Beschlüsse. Die Bischöfe waren auf Staatskosten angereist und hatten dort auf Staatskosten gelebt.
Der tausendjährige Versuch, das Reich Gottes per kaiserlichem Dekret zu erbauen und den Weg ins Paradies mit dem kaiserlichen Schwert zu bahnen, hatte begonnen. Der Versuch führte von einer Hölle in die nächste.
Nach allem, was wir heute wissen, der Kirche diese Ursünde vorzuwerfen, ist billig. Dass die Kirche nach der soeben beendeten Christenverfolgung die kaiserliche Fürsorge nicht als staatliche Bevormundung durchschaute, kann man kritisieren. Aber die Christen hatten noch keinerlei Erfahrung im Umgang mit der Macht und sahen zunächst nur, wie ihre Kirche unter dem Kaiser wuchs und gedieh. Warum sollten sie da die Verquickung ihrer Interessen mit denen des weltlichen Herrschers nicht als göttliche Fügung betrachten? Ebendeshalb muss es der Teufel selbst gewesen sein, der Regie geführt hat.
Dies hätte die Kirche spätestens merken müssen, als im Jahr 380 unter Theodosius dem Großen die Religionsfreiheit abgeschafft und das Christentum zur Staatsreligion wurde. Heidentum und Häresie waren zum Staatsverbrechen geworden, und noch vor dem Ende des 4. Jahrhunderts wurden schon die ersten Ketzer hingerichtet.Innerhalb kürzester Zeit war aus der verfolgten Kirche eine verfolgende Kirche geworden.
Sie hat nicht erkannt, dass Gewalt und Zwang zutiefst Gottes Willen verletzen und der Kirche nur schaden. Was einst die Kirche stark gemacht und zu ihrem großen Erfolg beigetragen hatte, der freiwillige Eintritt in die Christengemeinschaft, der damit verbundene Ernst, die tiefe Überzeugung ihrer Mitglieder, das besondere Leben in den Gemeinden, die Radikalität der christlichen Existenz, verschwand jetzt wieder, denn wie konnte man eine ernsthafte Überzeugung von Menschen verlangen, die zur Taufe gezwungen wurden oder sich aus purem Opportunismus taufen ließen?
Plötzlich bestand die Kirche in ihrer Mehrzahl aus Menschen, die innerlich gar nicht für das Christentum gewonnen waren. Dadurch wuchs sie zwar schnell zu einer mächtigen, übers ganze Römische Reich verbreiteten Organisation, aber von nun an ging ihre innere Stärke und Überzeugungskraft genau in dem Maß verloren, in dem ihre äußere Machtentfaltung wuchs.
Die Christen der ersten vier Jahrhunderte hatten naiv geglaubt, durch die Bekehrung des Kaisers werde alles gut. Sie hatten geglaubt, die Zwangschristianisierung sei im Interesse der Gezwungenen, denn durch die Taufe erwarben sie sich eine Planstelle im Himmel samt ewigem Heil.
Natürlich hätte der eine oder andere Christenführer mal fragen können, ob diese Zwangsbeglückung Gottes Willen entspreche. Aber die Christen waren damals so erfolgreich, dass sie, wie alle Erfolgreichen, nicht mehr in der Lage waren, sich selbst in Frage zu stellen. Sie wähnten sich im Besitz der Wahrheit und ignorierten, was um sie herum vorging. Sie meinten, schon längst alles zu wissen – was immer der Anfang vom Ende ist.
Am Ende des 6. Jahrhunderts war dann so gut wie alles wieder da, womit Jesus ursprünglich aufgeräumt hatte: eine Kirche, die den Menschen tausend Vorschriften macht, die christliche Lebenspraxisin den Gemeinden durch Opfer, Bußgottesdienste und allerlei fromme Ersatzhandlungen kompensiert, die reine ursprüngliche Lehre mit heidnischen Bräuchen und Lokalitäten verquickt, Priester als Vermittler zwischen Mensch und Gott einschaltet, Dogmen und Denkverbote erlässt, Reliquien verehrt, Ketzer verfolgt und äußerlich von heidnischen
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