Die Bibel
wissenschaftlichen Weltbildes ruhig ein bisschen tiefer gehängt werden. Dessen Lack ist ab. Durch Wissenschaft zur Wahrheit, lautete der Glaube der Aufklärung. Aber statt über Wahrheit verfügen wir heute über einen täglich wachsenden Haufen einander widersprechender Theorien und Hypothesen, die eigentlich nur eines beweisen: Bultmann hatte Unrecht. Der Mensch des 21. Jahrhunderts benutzt Computer, um sein Horoskop zu errechnen.
Drittens: Die Frage nach Gott, Auferstehung und den letzten Dingen ist offen und bleibt offen. Die Kirche kann Gott nicht beweisen, die Wissenschaft kann ihn nicht widerlegen. Wer als Wissenschaftler meint, es trotzdem tun zu können, verlässt die Grenzen seiner Zuständigkeit, argumentiert nicht mehr als Wissenschaftler, sondern als Agnostiker oder Atheist, und das ist kein wissenschaftlicher Beweis, sondern auch wieder nur ein Glaube. Die Hoffnung, Gott werde am Ende aller Tage ein paar Überraschungen für uns parat haben, widerspricht daher nicht der Vernunft. Diese Hoffnung bleibt. Wer sie hegt, braucht sie sich von niemandem zerreden zu lassen.
Zu Recht wendet der jetzige Papst Benedikt XVI. gegen die Bult- und Lüdemänner ein, sie verabsolutierten die wissenschaftliche Rationalität. Und der Heidelberger Neutestamentler Klaus Berger wettert seit Jahren intelligent, sarkastisch, spöttisch und oft mit schneidender Schärfe gegen die freiwillige Unterwerfung christlicher Theologen unter das Diktat der begrenzten wissenschaftlichenVernunft. Deren relative, jeweils den aktuellen Stand der Forschung repräsentierenden Wahrheiten könnten niemals zum absoluten Maßstab für Wahrheit gemacht werden.
Allerdings: So Recht der Papst und der Heidelberger Professor mit ihrer Kritik haben, mehr als das Offenhalten der Frage nach Gott und Auferstehung gelingt auch ihnen nicht. Berger weicht immer wieder auf die Mystik aus, wenn er konkret gefragt wird: Hat Jesus nun Wasser in Wein verwandelt oder nicht? Berger versteht es meisterhaft, den Fragesteller so lange zurechtzuweisen, dass er beschämt die Plattheit seiner Frage erkennt und sie zurückzieht.
Der Papst wiederum hält sich mit der Suche nach Auswegen gar nicht erst auf, sondern fordert einfach Glauben, gewiss nicht den Primitivglauben der Fundamentalisten, sondern den echten, wahren, auf der Höhe der Zeit befindlichen Glauben. Der Glauben, von dem man spürt, dass der oberste Hirte ihn hat, aber leider nicht so verständlich erklären kann, dass all die Schäflein, die nicht so lange Theologie studiert haben wie er, ihm folgen können. Weil der Papst das weiß, drückt er das Komplizierte manchmal ganz bewusst in der Sprache der Naiven aus, aber das ist dann denen, die Mathematik, Physik, Juristerei oder Betriebswirtschaft studiert haben, auch wieder zu einfach.
Aus diesem Grund, und weil auch ich keine Lösung für dieses Problem kenne, habe ich mich beim Schreiben dieses Buches an die Lüdemann-Empfehlung gehalten und versucht, mit dem wenigen auszukommen, das noch da ist. Und stelle erstaunt fest, dass man den scheinbar kümmerlichen Rest nicht unterschätzen soll, dass man tatsächlich agnostisch und leicht verzweifelt an Gott glauben kann und dieser Restglaube einen gerade so über Wasser hält. Es ist nicht sehr komfortabel, aber rettet doch irgendwie das Leben.
Papst Benedikt XVI. hat, als er noch der junge Professor Ratzinger war und vielleicht selber noch den Zweifel kannte, in seinemBuch «Einführung in das Christentum» die Eröffnungsszene des «Seidenen Schuhs» von Paul Claudel zitiert. Darin treibt ein schiffbrüchiger Jesuitenmissionar, an einen Balken des gesunkenen Schiffs gebunden, allein auf dem Meer. Dort betet der Pater: «Herr ich danke dir, dass du mich so gefesselt hast. Zuweilen geschah mir, dass ich deine Gebote mühsam fand … Doch heute kann ich enger nicht mehr an dich angebunden sein, als ich es bin, und mag ich auch meine Glieder eines um das andere durchgehen, keines kann sich auch nur ein wenig von dir entfernen. Und so bin ich wirklich ans Kreuz geheftet, das Kreuz aber, an dem ich hänge, ist an nichts mehr geheftet. Es treibt auf dem Meere.»
Ratzinger sah darin die Situation des Glaubenden von heute. Ans Kreuz geheftet, das Kreuz aber an nichts mehr geheftet, treibend über dem Abgrund. Nur ein über dem Nichts schwankender loser Balken scheint den Glaubenden noch zu halten. Es ist der grundlose Glaube Hiobs, von dem hier die Rede ist, die verblüffende Entdeckung, dass, wenn
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