Die Bibel
Schwachen ausbeuten und unterdrücken.
Mit Abraham legt Gott den Keim der Kirche. Sie ist nicht nur für die Juden und Christen da, sondern für die Heiden, Sünder, und überhaupt für alle Völker dieser Welt. Das ist gemeint mit der Formel
und sollst ein Segen sein
und
in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden
. Das Volk Gottes soll durch seine Existenz beweisen, dass das, wovon die Urgeschichte handelt, die endlose Verkettung aus Hass und Gewalt, durchbrochen werden kann. Und zwar hier und jetzt auf der Erde und nicht erst in einem zukünftigen Jenseits.
Gott will eine andere Welt, dazu musste er sich die Kirche, sein Volk Gottes, erfinden. Es ist sein Werkzeug für die Verwirklichung seiner Utopie. Wie Gott sein Vorhaben ins Werk setzt, ist bemerkenswert. Drei Dinge fallen auf. Erstens: Er, der Allmächtige, könnte ja genau so, wie er durchs bloße Wort die Welt und die Menschen schuf, die Kirche erschaffen und die Menschen durchs bloße Wort bekehren. Das tut er nicht, denn er möchte, dass der Mensch sich Gottes Plan aus freien Stücken zu Eigen macht und mit Leben erfüllt. Gott riskiert bewusst, dass der Mensch nein sagt, seine Freiheit missbraucht und sich zu einem kalt berechnenden Wesen entwickelt, das tierischer handelt als jedes Tier – dass dies geschieht, erleben wir bis zum heutigen Tag. Aber ohne diese Möglichkeit wären wir keine Menschen, sondern programmierte Automaten ohne eigene Würde.
Weil Gott auf den freien Entschluss des Menschen setzt, ist der Allmächtige letztlich ohnmächtig. Gott will handeln, aber das gelingt nur, wenn die Menschen es zulassen. Nur durch sie kann Gott ins Weltgeschehen eingreifen. Vor diesem Hintergrund ist die oft gestellte Frage: «Wo war Gott in Auschwitz?» einfach falsch gestellt, denn die Frage kann nur lauten: Wo war der Mensch? Und schärfer noch: Wo war die Kirche? Wo waren die Christen?
Zweitens: Gott fordert Abraham auf, seine Heimat, seine Verwandten und seine Freunde zu verlassen und in eine unbekannte Fremde zu ziehen. Gott sagt nicht: «Versammle Gleichgesinnte in deiner Heimatstadt Ur und versuche, die Verhältnisse zu ändern, strebe nach politischer Macht, werde König und setze Reformen durch.» Gott stiftet Abraham auch nicht an, mit einer Schar Rebellen eine Revolution anzuzetteln, das alte System zu zerschlagen und ein neues zu etablieren. Gott sagt,
gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will
.
Heraus aus allem Vertrauten. Fort aus der Heimat und dem Bestehenden, vorwärts in eine neue, ganz andere Zukunft! Auszug, Umkehr, Exodus: Das ist Gottes Parole für die Lösung der Probleme der Welt und die Erlösung des Menschen. Wir werden dieser Lösung noch öfter begegnen in der Bibel.
Drittens: Gott wählt einen ganz konkreten Ort, eine ganz bestimmte Zeit, einen einzelnen Menschen. Er hätte es ja auch zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten mit verschiedenen Menschen probieren können. Er hätte sich den Chinesen, Persern, Griechen, Inkas und Mayas offenbaren können. Doch nur Abraham sucht er sich aus. Ihn macht er zum Stammvater der Juden, Christen und Muslime, weshalb die drei Religionen als «abrahamitische Religionen» bezeichnet werden. Auch dies, dass nämlich Gott an einem einzigen Ort, zu einer ganz bestimmten Zeit, mit einem einzigen Menschen in die Welt eingreift, werden wir noch öfter erleben.
Und Gott lässt sich Zeit. Es dauert viele Jahrhunderte, bis aus Abraham wirklich ein Volk geworden ist. Es dauert Jahrtausende, bis die ganze Welt davon erfährt. Und dass dieses Volk so lebt, wie Gott es sich vorgestellt hat, dass es sich überhaupt als unterschiedenes, von Gott aus der Völkergemeinschaft herausgenommenes Volk begreift, darauf wartet die Welt noch heute.
Warum gerade Abraham? Was zeichnet ihn vor allen anderen aus? Wie ging es überhaupt zu bei der Berufung Abrahams? Hat Gott durch eine Wolke zu ihm gesprochen? Hat nur er diese Stimme gehört? Hat Gott es auch bei anderen versucht? Wir wissen es nicht. Darüber berichtet die Bibel keine Einzelheiten. Außerbiblische Zeugnisse über Abraham gibt es nicht. Wir wissen nicht einmal, ob es sich um eine historische Figur handelt, die wirklich gelebt hat.
Und der Herr sprach zu Abraham
– das ist mythische Sprache, keine Sprache der Berichterstatter. Noch immer bewegen wir uns in Mythen, Sagen und Legenden mit nur vagen historischen Anhaltspunkten. Sehr wahrscheinlich
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