Die Bibel
etwas hat sich geändert. Vor der Sintflut sollten Mensch und Tier nur von Früchten und Gemüse leben. Nach der Sintflut erlaubt er den Menschen, auch Tiere zu essen. Das ist gemeint mit dem merkwürdigen Wort:
Furcht und Schrecken vor euch soll über alle Tiere der Erde kommen. … Alles, was sich regt und lebt, soll euch zur Nahrung dienen. Nur dürft ihr das Fleisch nicht essen, während sein Leben, sein Blut, noch in ihm ist.
Hier hat das Schächten seinen Ursprung.
Rund fünfhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung hat man sich also in Israel schon Gedanken über das Leid der Tiere gemacht und gefragt, warum eine Kreatur die andere auffrisst. Der Erzähler gibt die tiefgründige Antwort: Gottes Wille war es nicht. An der menschlichen Ursünde und der daraus hervorgehenden Neigung zur Gewalt liegt es. Gott hat einen Kompromiss gemacht mit den Menschen. Umso mehr Wert legt Gott jetzt auf die Respektierung der anderen Grenze: Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden.
Es ist, als sei eine Liebesgeschichte zu Ende gegangen. Zu Beginn sah Gott den Menschen wie durch eine rosarote Brille als sein Ebenbild. Der Schöpfer war vernarrt in sein Geschöpf. Nach der Flut sieht er den Menschen realistisch. Enttäuscht weiß er jetzt, der Mensch braucht eine Ordnung, an die sich zu halten ihm schwer fallen, aber ihn nicht überfordern wird: Herstellung von Frieden durch Androhung von Gewalt. Nur die zweitbeste aller Welten wird mit diesem Menschen möglich sein.
Bis heute ist uns nichts Besseres gelungen als diese zweitbeste Lösung des Gewaltproblems. Nur Jesus hatte eine bessere Lösung. Aber die Christen haben nicht danach gelebt. Es ist kein sehr schmeichelhaftes Bild, das da vor zweieinhalb Jahrtausenden vom Menschen gezeichnet wurde. Aber es stimmt noch immer.
Menschen brauchen Grenzen, sagt die Bibel. Sie sagt es noch einmal in der Geschichte vom Turmbau zu Babel. Die Menschen wollen einen Turm bauen, der bis an den Himmel reicht, um sich «einen Namen zu machen». Wieder so eine Grenzverletzung. Gott antwortet, indem er die Sprache der Turmbauer verwirrt, sodass sie einander nicht mehr verstehen, den Bau einstellen müssen und sich in alle Winde zerstreuen. Erst an Pfingsten, der Ausgießung des Heiligen Geistes über die christliche Urgemeinde, wird diese Sprachverwirrung wieder zurückgenommen.
Weil er die von Gott gesetzten Grenzen ständig verletzt, ist die Geschichte des Menschen eine endlose Folge von Verhängnissen und Katastrophen. Dafür steht das Bild der Sintflut. Wo die Grenzen respektiert werden, kann das Leben überdauern. Deshalb die Arche. Der Mensch ist nicht, wie er sein soll, aber Gott liebt ihn trotzdem. Seine Geschichte mit dem Menschen geht weiter. Dafür steht der Regenbogen.
Abraham: Als Gott alles auf einen Menschen setzte
Gottes Utopie
Die Urgeschichte ist zu Ende. Die Vätergeschichte beginnt. Die Urgeschichte war eine Geschichte von Sünde und Verfall und wenig Hoffnung. Die Vertreibung aus dem Paradies war vergebens. Nichts haben die Menschen aus der Sintflut gelernt, nichts aus der babylonischen Sprachverwirrung. Gott schuf den Menschen und gab ihm Freiheit. Aber von dieser Freiheit wusste der Mensch keinen rechten Gebrauch zu machen. Am Ende der Urgeschichte schien Gott sich resigniert damit abzufinden.
Aber jetzt, am Beginn der Vätergeschichte, kündigt sich an, dass Gott die Hoffnung nicht aufgegeben hat. Gott glaubt weiterhin an den Menschen, glaubt, dass dieser noch lernt, wie er leben muss, damit sein Leben gelingt. Um dies den Menschen beizubringen, entwickelt Gott einen Plan, ja, eine Utopie. Um sie verwirklichen zu können, braucht er einen Menschen, Abraham. Deshalb beginnt die Vätergeschichte mit der Berufung Abrahams.
Und Gott sprach zu Abraham: Gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
Aus Abraham soll ein Volk werden, das Volk Gottes, das nach seinem Willen lebt. Gott braucht dieses Volk, damit es allen anderen Völkern zeigt, wie er sich das Miteinander der Menschen vorstellt.Und dass es noch etwas anderes gibt, als jenen auf Gewalt beruhenden Normalzustand, in dem die Starken die
Weitere Kostenlose Bücher