Die Bibel
verschlingen und die Tränen abwischen von allen Gesichtern. Und er wird Recht sprechen und viele Völker zurechtweisen, sodass sie ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden werden und ihre Speere zu Rebmessern. Sie werden den Krieg nicht mehr erlernen. Da wird der Wolf bei dem Lämmlein wohnen und der Leopard sich bei dem Böcklein niederlegen. Das Kalb, der junge Löwe und das Mastvieh werden beieinander sein, und ein kleiner Knabe wird sie treiben. Die Kuh und die Bärin werden miteinander weiden und ihre Jungen zusammen lagern, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rindvieh. Der Säugling wird spielen am Schlupfloch der Natter, und der Entwöhnte seine Hand nach der Höhle
der Otter ausstrecken. Sie werden nichts Böses tun noch Verderben anrichten auf dem ganzen Berg meines Heiligtums; denn die Erde wird erfüllt sein von der Erkenntnis des Herrn, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken.
So sieht das Ziel der Geschichte im Alten Testament aus.
Könige, Propheten und der Messias
Ein Autofahrer hört im Radio, dass auf seiner Strecke ein Geisterfahrer unterwegs sei. Er blickt aus dem Fenster und murmelt: «Einer? Hunderte!»
Im richtigen Leben, das komplexer ist als der Autoverkehr, kann es durchaus vorkommen, dass man ganz allein gegen den Strom der Lemminge schwimmt und deshalb als Geisterfahrer betrachtet wird, obwohl es in Wahrheit die anderen sind.
Als ein solcher Geisterfahrer muss Israel den Völkern in seiner Nachbarschaft erschienen sein. Ein Volk, das alles grundsätzlich anders macht als die anderen, zu allem eine andere Meinung hat und dann noch behauptet, etwas ganz Besonderes zu sein! So ein Volk ist eine Provokation für alle anderen. So ein Volk wird gehasst.
Das Volk Israel hat – nach außen hin – unbeirrt an seinem Kurs festgehalten, denn da war dieses Ereignis am Schilfmeer. Von dem ging ein Kraftstrom aus, der Israel durch die Jahrhunderte trug und es alle Anfeindungen und Katastrophen überstehen ließ. Aber verliert nicht so ein Strom im Lauf der Zeit seine Kraft? Und muss er nicht mal in diese, mal in jene Richtung mäandern, um an sein Ziel zu kommen?
Es war nie leicht, ein Angehöriger des Volkes Israel zu sein. Viele hätten es gern bequemer gehabt, viele meinten, im Lebensstilder anderen Völker durchaus Vorzüge zu erkennen. Könnte man nicht einzelne heidnische Elemente übernehmen und in die eigene Kultur integrieren? Lebt es sich mit Toleranz und einer vernünftigen Kompromissbereitschaft nicht besser?
Solche vernünftigen Fragen wurden selbstverständlich gestellt in Israel. Und gerade weil die Vernunft so lebensklug erscheint, war sie in Israel eine ständige Versuchung. Darum hielt Israel keineswegs so unbeirrt Kurs, wie es auf den ersten Blick erscheint. Und darum gab es noch eine Besonderheit, die Israel von allen anderen unterschied: Die anderen Völker dienten ihren Göttern gern und zweifelten nicht.
Israel diente seinem Gott ungern, zweifelte immer und lebte ständig an der Grenze zur Verzweiflung. In seiner göttlichen Erwählung sah es stets mehr eine lästige Bürde als eine besondere Würde.
Schon in Ägypten, als Mose vom Pharao eine dreitägige Pause erbat, damit das Volk in der Wüste ein Fest feiere, und der Pharao die Zügel noch straffer zog, statt sie zu lockern, ging das Murren los. Es setzte sich fort am Schilfmeer, ging weiter in der Wüste, gipfelte im Tanz ums Goldene Kalb und hörte nicht mehr auf. Dass Israel so oft nur knurrend gehorchte, die anderen aber ihren Göttern geradezu lustvoll dienten, hat einen einfachen Grund: Die Macht, den Reichtum, die Liebe und den Sex anzubeten, die Natur und die Schönheit zu verehren, das fällt uns Menschen nicht schwer, das tun wir von Natur aus. Religion haben wir sowieso.
Israel aber ist in der Wüste auf den wahren Gott gestoßen und hat erfahren: Der will verlässlich immer das, was unserer inneren Natur zuwiderläuft. Freiwillig dem Ganzen zu dienen, für sich keinen Vorteil aus seiner Potenz zu ziehen, den Schwächeren nicht auszunutzen – dies ist dem Stärkeren von Natur aus so wenig gegeben wie die Einsicht, dass auch der Starke aus sozialer Gerechtigkeit langfristig den größten Vorteil für sich selber zieht.
Zwar spürt Israel, dass das, was Gott will, letztlich vernünftigerund auf Dauer auch erfolgsträchtiger ist, aber es kostet immer Überwindung, es zu tun. Einzusehen, dass die Anbetung der falschen Götter zuverlässig jene unaufhörliche Folge von Mord und Totschlag und Krieg
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