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Die Bibel

Die Bibel

Titel: Die Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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gereiht
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    Und wie reagiert Gott, als Samuel ihm bestürzt die Wünsche seines Volkes vorträgt? Gott bleibt überraschend gelassen und sagt:
Höre auf die Stimme des Volkes in allem, was sie dir gesagt haben; denn nicht dich haben sie verworfen, sondern mich, so, wie sie es schon immer gemacht haben von dem Tag an, als ich sie aus Ägypten heraufgeführt habe, bis heute
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    Gott kritisiert die Entscheidung des Volkes genauso scharf wie Samuel, aber warum zeigt er sich letztlich damit einverstanden? Hat er resigniert? Hat er sich damit abgefunden, dass sein Plan für immer eine Utopie bleiben wird?
    So einfach ist es natürlich nicht. Israels Königtum wird zunächst ein großer Erfolg. Während König Saul noch zaudernd regiert, erwächst ihm ein starker Konkurrent, ein jugendlicher Held, der den Riesen Goliath, den Anführer der Philister, mit List und einer Steinschleuder besiegt und rasch zum erfolgreichen König aufsteigt: David.
    Aus den lose nebeneinander existierenden Stammesgebieten schmiedet er um das Jahr 1000 vor Christus einen großen Territorialstaat, führt ein paar siegreiche Eroberungskriege und macht Jerusalem zur Hauptstadt seines Reiches.
    Israel wird ein fast ganz normaler Staat, mit einem fast ganz normalen Herrscher. Was diesem noch fehlt, stellt sich aber zuverlässig ein: Als David die schöne Frau eines seiner Hauptleute sieht, will er sie haben. Um sie zu kriegen, schickt er den Hauptmann an die Front, gibt dessen Vorgesetzten die Anweisung, ihn ins gefährlichste Getümmel zu schicken, damit er darin umkomme, und dieser Plan geht auf. Der glanzvolle schäbige Herrscher schnappt sich die Frau seines verratenen Dieners.
    Dann aber passiert etwas Neues, ganz und gar Unerwartetes, das zeigt, dass Israel eben doch noch nicht vollständig in der Normalität angekommen ist und dort auch nie mehr ankommen wird. Ein Mensch namens Nathan tritt auf, einer ohne Amt und Würden, aber mit großem, scheinbar durch nichts gerechtfertigtem Selbstbewusstsein, ein frecher, völlig unabhängiger, freier Geist.
    Dieser Kerl geht zum König und sagt ihm ins Gesicht, dass er ein abscheulicher Schuft sei. Daraufhin passiert etwas noch Überraschenderes. David verfällt nicht auf die nächstliegende Despotenlösung, sagt also seinen Justizbeamten nicht: «Macht Nathan einen fairen Prozess, anschließend wird er gehängt.» Nein, David zeigt sich erschüttert, sieht seine Schuld ein, bereut, schämt sich und macht diesen Nathan, seinen schärfsten Kritiker, zu seinem Berater. Mehr ist von einem König nicht zu erwarten. Deshalb wird David zu Recht bis heute als großer König gerühmt.
    Mit Nathan wird unsere Aufmerksamkeit auf ein neues Amt gelenkt, das Amt des Propheten. Der Prophet Israels ist nicht das, was man heute im landläufigen Sinn darunter versteht, also eine Art Orakel, das die Zukunft vorhersagt, sondern ein Intellektueller, der sich über strittige öffentliche Angelegenheiten sein eigenes Urteil bildet und dieses öffentlich mitteilt. Ohne Rücksicht auf die Obrigkeit, aber auch ohne Rücksicht auf das Volk.
    Die Propheten Israels kritisieren öffentlich, dass die Armen verachtet und ausgebeutet werden. Sie kritisieren den Machtmissbrauchund halten die Erinnerung an Israels eigentlichen Auftrag wach. Sie reagieren mit einer geradezu seismischen Empfindlichkeit auf Ansätze von Verrat an Israels Auftrag.
    Es stehen ihnen dafür keine Machtmittel zur Verfügung, nur das freie Wort, und sie können nicht verhindern, dass sie verhöhnt, verspottet oder einfach ignoriert werden. Aber die Gegenseite kann nicht verhindern, dass die Propheten öffentlich reden. Autoritätshörigkeit ist diesem Volk nicht mehr beizubringen. Während alle anderen Völker sich in Hofberichterstattung üben, leistet sich Israel die Herrschaftskritik. Die Gefahr, den König zu vergöttlichen, besteht in Israel nie.
    Propheten stehen mit Gott im Bunde. Von ihm haben sie ihr Amt. Mit diesem Amt ist Gott eine neue Lösung eingefallen, um sein Projekt voranzubringen. Wenn mal wieder alles abzudriften droht, dann schickt Gott einen Propheten – mindestens einen findet er in diesem Volk fast immer – und begabt ihn mit der Macht des Wortes. Das provokante Selbstbewusstsein, mit dem die Propheten ihren Königen und dem Volk in die Suppe spucken, hat also einen geheimen Grund und die stärkste Rechtfertigung, die sich denken lässt: Gott selbst.
    Die Propheten entwickelten eine einfache, allen verständliche Theologie, und diese

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