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Die Bibliothek der verlorenen Bücher

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Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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werden. Der Text erschien zwischen 1803 und 1805 als lose Fortsetzungsgeschichte, zu einer Zeit, da Brown seine literarische Arbeit bereits weitgehend aufgegeben hatte. Das sporadische Erscheinen erweckte den Unmut der Leserschaft, die mit Spannung auf Carwins weitere Abenteuer wartete. Der Autor schildert zu Beginn, wie Carwin sein außergewöhnliches Talent entdeckt und die Kunst des Bauchredens für harmlose Streiche nutzt: Er lässt seinen Hund sprechen und Geisterstimmen erklingen. Doch dann gerät er in den Bann eines rätselhaften Mannes, Ludloe, der ihn für die Zie le einer obskuren Geheimgesellschaft gewinnen will. Brown deutet an, dass Ludloe lediglich ein gerissener Verbrecher ist, der plant, Carwin und seine Kunst zu seinem Werkzeug zu machen. Ludloe schwärmt von einer Zukunft, in der das Zeitalter der Vernunft das der Gewalt ablöst und jeder gleichwertige Arbeit und die gleichen Mittel zum Leben haben würde. In solchen Versprechungen spiegelten sich die Träume vieler junger Amerikaner – was aber, wenn es nur die hohlen Worte eines skrupellosen Ausbeuters waren?
       Mit »Edgar Huntly, or Memoirs of a Sleep-Walker« rekonstruierte Brown vermutlich sein verlorenes Manuskript »Sky-Walk«. Inwieweit das neue Buch das alte neu erstehen lässt, ist unklar. Sicher ist nur, dass sich beide Romane dem Phänomen des Schlafwandelns widmen. »Edgar Huntly« ist eine der frühesten und wirkungsvollsten Darstellungen von psychischer Deformation und Wahnsinn: Huntly versucht den Mord an seinem Freund Wakefield aufzuklären. Eines Nachts bemerkt er, dass Wakefields Diener Clithero heimlich das Haus verlässt und den Ort des blutigen Verbrechens aufsucht. Er verfolgt den Verdächtigen, um ihn zur Rede zu stellen, doch Clithero reagiert nicht. Er wandelt im Schlaf und scheint nur das Opfer eines sonderbaren Zwangs zu sein. Tags darauf erfährt Huntly seine seltsame und tragische Lebensgeschichte. Er sei wegen seiner ungewöhnlichen Krankheit, die ihn im Schlaf umherirren lässt, schon einmal zu Unrecht eines Verbrechens angeklagt und aus dem Kreis seiner Lieben verbannt worden. Seine Geschichte klingt plausibel, und es gibt einige Indizien, die andeuten, dass Wakefield von Indianern getötet wurde. Doch Edgar Huntly wird von Clithero geschickt manipuliert. Durch seinen Einfluss wird er selbst zum Schlafwandler und erwacht eines Tages inmitten eines Höhlenlabyrinths, das ihn in eine unheimliche Wildnis führt. Er begegnet wilden Tieren und dämonischen Indianern auf dem Kriegspfad. Nach seiner Rückkehr scheint er das Rätsel um Wakefield und Clithero endlich lösen zu können. In Wirklichkeit ist er das Opfer eines Ablenkungsmanövers geworden, und Clithero entpuppt sich als Psychopath, der dunkle Ziele verfolgt.
       Der Schlafwandler und seine Krankheit werden von Brown sehr rational geschildert. Seine Darstellung beruht auf medizinischen Abhandlungen. Doch sein besonderes Interesse gilt dem Augenblick des Erwachens, dem Moment, in dem die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verschwindet. So wird aus der Wildnis, durch die Edgar Huntly irrt, um nach Hause zu kommen, ein Labyrinth aus Ängsten, Illusionen und Wahnvorstellungen, das er durchschreiten muss, um die Wahrheit zu ergründen.
       Nach ein paar Jahren intensivster literarischer Arbeit verließ Brown New York und kehrte nach Philadelphia zurück, wo er in die Handelsfirma seiner beiden Brüder einstieg und 1804 heiratete. Sein Interesse als Autor, Herausgeber und Übersetzer galt nun vor allem der Naturwissenschaft und der Politik. Obwohl seine Romane in Amerika und England recht erfolg reich waren, hatte er ein eher zwiespältiges Verhältnis zu seinem eigenen Werk und schwankte in seiner Bewertung zwischen Stolz und Resignation. Seine schlechte Gesundheit scheint ihn vom Schreiben abgehalten zu haben, ein realistischer Künstlerroman, »Stephen Calvert«, blieb unveröffentlichtes Fragment. Charles Brockden Brown starb am 22. Februar 1810 nach langer Krankheit an Tuberkulose.
       Seine Werke, die bald in Vergessenheit gerieten, dienten späteren Autoren als Quelle und Inspiration: James Fenimore Cooper, Sir Walter Scott, Thomas Love Peacock und John Keats lasen Browns Romane mit Begeisterung. Mary Shelley nutzte die Beschreibung der Gelbfieberepidemie in »Arthur Mervyn« für ihren Zukunftsroman »The Last Man«, und Percy B. Shelley ging so weit, seine Freunde nach Browns Helden zu benennen. Edgar Allan Poe, der die Romane in seiner

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