Die Bibliothek der verlorenen Bücher
Elendsvierteln der Metropole, den legendären Five Points, in denen Verbrechen, Hunger, Armut und Siechtum herrschten.
Cooper starb, ohne sein ehrgeiziges Projekt abschließen zu können, doch hatte er das Manuskript der ersten acht Kapitel seinem Verleger George Putnam geschickt, der Probeabzüge herstellen wollte. Ein Feuer in Putnams Verlagsbüro zerstörte alle dort gelagerten Bücher und Manuskripte. Einige gedruckte Seiten von »The Towns of Manhattan« hatte man einem Literaturkritiker vorab gesandt, so dass wenigstens ein Bruchteil des Werkes – darunter die Einleitung – gerettet werden konnte. Dieses Fragment, das zunächst in verschiedenen Zeitschriften, dann auch als Buchausgabe unter dem Titel »New York« veröffentlicht wurde, enthielt Spekulationen über die Zukunft der Metropole und eine überaus hellsichtige Analyse des sich bereits abzeichnenden Konflikts zwischen den amerikanischen Sklavenhalterstaaten und den freien Staaten, der wenige Jahre später in dem blutigen Sezessionskrieg gipfelte. Doch weder im Norden noch im Süden interessierte man sich für Coopers mahnende Worte.
Der einzige Mensch, der James Fenimore Cooper bis zu seinem Tod die Treue hielt, war seine Tochter Augusta. Sie galt ihren Zeitgenossen als »hässlichste Frau Amerikas«, schrieb sentimentale Romane, die heute vergessen sind, und war ihrem Vater fanatisch ergeben. Coopers letzter Wunsch war, dass niemand je eine Biographie über ihn schreiben solle. Alle Materialien, alle Tagebücher und Jugendschriften sollten vernichtet werden. Die Familie hatte keineswegs vor, der Bitte zu folgen, doch Augusta blieb standhaft. Sie war zur Nachlassverwalterin bestimmt worden, und der Letzte Wille ihres Vaters war ihr heilig. Ein Großteil der Papiere wurde verbrannt. Einige Bände mit privaten Aufzeichnungen behielt Augusta für sich, zeigte sie niemandem, und als sie selbst starb, nahm sie das Erbe des großen amerikanischen Erzählers mit ins Grab.
Von Schlafwandlern und Bauchrednern
C harles Brockden Brown wurde am 17. Januar 1771 in Philadelphia geboren. In seiner Schulzeit entwikkelte der intelligente, aber kränkliche Junge eine Liebe zur Literatur, die sich schon bald in eigenen Schreibversuchen manifestierte. Seine Eltern, die der puritanischen Sekte der Quäker angehörten, dürften diese früh erwachte Leidenschaft kaum mit Begeisterung betrachtet haben. Den Quäkern galt Lektüre, die nicht ausschließlich der praktischen Fortbildung oder der religiösen Unterweisung diente, als verwerflich. Das hielt Brown jedoch nicht davon ab, noch vor Vollendung seines 16. Lebensjahres drei Versepen über die Eroberung der Neuen Welt zu entwerfen. Es sollten nicht seine einzigen Werke bleiben, die nur noch in der Bibliothek der verlorenen Bücher zu finden sind.
Im Jahr 1787 folgte Brown widerwillig den Wünschen seiner strengen Familie und begann eine juristische Ausbildung als Assistent eines Rechtsanwalts. Insgeheim folgte er seiner eigentlichen Passion, indem er sich verschiedenen Literatur- und Debattierclubs anschloss. Er knüpfte Kontakte zu Gleichgesinnten in Philadelphia und New York und diskutierte mit seinen neuen Freunden die im Jahr des amerikanischen Verfassungskongresses hochaktuellen Fragen politischer und kultureller Eigenständigkeit. Die im Krieg gegen England erstrittene Unabhängigkeit sollte nicht nur in eine neue Gesellschaftsordnung münden, sondern auch in geistige und ideelle Freiheit. Plötzlich existierte ein Freiraum, in dem die Umsetzung sozialpolitischer Utopien nicht nur denkbar, sondern auch machbar erschien. Vorbilder gab es genug: Die Werke der französischen Aufklärer und Humanisten – Montesquieu, Diderot, Voltaire – wurden von politischen Visionären, Anti-Monarchisten und Republikanern wie Thomas Paine und William Godwin aufgegriffen, deren Schriften in Amerika große Verbreitung fanden.
Gerade die Arbeiten Godwins und dessen Frau Mary Wollstonecraft sollten Brown nachhaltig beeinflussen. Das Hauptwerk des englischen Anarchisten, »Enquiry Concerning Political Justice« von 1793, verlangte die Abschaffung sämtlicher staatlicher Institutionen, da sie die natürliche Entwicklung des Menschen zur Vollkommenheit behinderten. Wollstonecrafts Streitschrift »A Vindication of the Rights of Woman« forderte die Gleichstellung der Frau in einer Zeit, in der eine verheiratete Frau nach englischem Recht keinerlei Verfügungsgewalt über Besitz und Vermögen hatte, auch wenn
Weitere Kostenlose Bücher