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Die Bibliothek der verlorenen Bücher

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Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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wie sie streiten und auf eine Pilgerreise gehen.«
       Als Gould diesen Satz las, wusste er, was er zu tun hatte: Den Rest seines Lebens wollte er in New York umherwandern und den Gesprächen der Menschen lauschen. Er wollte alles aufschreiben, ganz gleich, ob es langweilig, albern oder vulgär war. Lange Gespräche, kurze Gespräche, kluge Gespräche, dumme Gespräche, Streit, Brillantes, Lächerliches, Flüche, Liebeserklärungen, das Lallen der Betrunkenen und Verrückten, »das Flehen von Bettlern und Pennbrüdern, die Anträge von Prostituierten, die Leier von Straßen händlern und Krämern, die Sermone von Straßenpredigern, Schreie in der Nacht, wilde Gerüchte, Rufe des Herzens«. Dieses Stimmengewirr würde wie ein gigantisches Mosaik zu einer »Erzählten Geschichte unserer Zeit« zusammenfinden. Gould gab seinen Job auf und begann zu arbeiten.
       Zwanzig Jahre nachdem Mitchell Joe Gould zum ersten Mal interviewt hatte, entdeckte er die Wahrheit über den New Yorker Dichter und seine »Erzählte Geschichte«. In seinem Buch »Joe Goulds Geheimnis« fasste er seine Artikel über den Exzentriker und Lebenskünstler noch einmal zusammen. Sie zeigten, dass Joe Goulds tatsächliches Meisterwerk das große Mysterium war, das er um seine triste Lebenswirklichkeit konstruierte.
       Nach Goulds Tod wurde eifrig nach seinem literarischen Nachlass gefahndet. Doch alles, was man entdecken konnte, waren jene oft vorgezeigten Schulhefte, die in immer neuen Variationen die zwei oder drei autobiographischen Texte enthielten, die schon bekannt waren: Geschichten über den Vater, die Schulzeit, die Exkursion nach North Dakota.
       Aber irgendwo in New York, in einem dunklen Kellerloch, einer leerstehenden Mietwohnung, im Staub einer Dachkammer, wartet vielleicht ein Paket mit tausend eng beschriebenen Seiten, die all jene Stimmen enthalten, die Joseph Gould im Lauf seines Lebens hörte.

    Die barbarische Schreibmaschine

    E s ist schwierig, genau zu beschreiben, warum Mr. Howards Geschichten so deutlich hervorstechen; aber das wahre Geheimnis liegt darin, dass er selbst in jeder Einzelnen enthalten ist, ob sie nun vorgeblich kommerziell war oder nicht.« H. P. Lovecrafts Nachruf auf seinen frühverstorbenen Freund Robert E. Howard enthält im Kern alles, was die Faszination dieses absonderlichen Autors ausmacht: Seine meist überaus simplen Geschichten, die er selbst als »Schund« bezeichnete, schrieb er, um Geld zu verdienen, und sie besitzen dennoch eine erzählerische Energie, die ihnen eine überraschende Glaubwürdigkeit verleiht. Howard schrieb über muskelbepackte Krieger, teuflische Magier, wahnsinnige Rächer und schöne Frauen, doch war er kein Zeilenschinder. Er hatte Talent. Er war ein Träumer, der große Literatur schreiben wollte, aber im Treibsand der Massenunterhaltung steckenblieb und versank.
       Robert Ervin Howard wurde am 22. Januar 1906 in der texanischen Kleinstadt Peaster im Parker County geboren. Sein Vater, Dr. Isaac Mordecai Howard, war Landarzt. Seine Mutter, Hester Jane Ervin Howard, litt ihr Leben lang unter einer schwachen körperlichen Konstitution. Dennoch war sie für den jungen Robert eine überaus wichtige Bezugsperson, da der Vater oft unterwegs war und die häufigen Umzü ge Freundschaften kaum zuließen. Mit acht Jahren hatte Robert bereits in sieben abgelegenen Kleinstädten gelebt. 1917 zogen die Howards schließlich nach Cross Plains, Callahan County, einem öden Kaff in einer menschenleeren Gegend, in dem die Schlägereien der Ölarbeiter am Samstagabend die einzige Abwechslung darstellten. Dort sollte Robert den Rest seines kurzen Lebens verbringen.
       Seinen Schulkameraden erschien er als höflicher, aber zurückhaltender Junge. Ein Einzelgänger, der Bücher liebte und immer auf der Suche nach neuem Lesestoff war. Was die Art und Qualität seiner Lektüre anging, war er nicht sonderlich wählerisch. Er verschlang die Unterhaltungsliteratur seiner Zeit, die auf billigem Papier gedruckten »Chapbooks« und »Pulps« von Autoren wie Sax Rohmer, dem Erfinder des wahnsinnigen Superschurken Dr. Fu Manchu. Und er schätzte die Lyriker der Romantik und des Viktorianischen Zeitalters, von Samuel Coleridge bis Alfred Tennyson. Seine Mutter, der die klassischen Werke der Poesie vertraut waren, dürfte ihn in dieser Vorliebe bestärkt haben. Im Mittelpunkt seines Interesses standen jedoch die Klassiker der englischsprachigen Abenteuerliteratur: Arthur Conan Doyle,

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