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Die Bibliothek der verlorenen Bücher

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Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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sie dieses mit in die Ehe brachte.
       Charles Brockden Brown hatte diese Schriften verinnerlicht, als er 1793 sein Jurastudium aufgab und – möglicherweise durch Zureden seiner Bekannten aus den New Yorker Intellektuellenzirkeln – ernsthaft an eigenen literarischen Werken zu arbeiten begann. Zwei frühe Texte, »Sketches of the History of Carsol« – die Geschichte eines phantastischen Reiches mitsamt der Chronik seiner Herrscherhäuser – und »Sky-Walk, or The Man Who Was Unknown to Himself«, entstanden zwischen 1794 und 1797, wurden jedoch nie veröffentlicht. Der bereits fertiggestellte Roman »SkyWalk« ging verloren, als der Drucker und Verleger des Buches der Cholera erlag, die die Städte der amerikanischen Ostküste regelmäßig heimsuchte. Sein Hab und Gut wurde mitsamt allen Manuskripten aus hygienischen Gründen verbrannt.
       Durch den Verlust seiner Texte ließ sich der angehende Autor nicht entmutigen. Im Gegenteil: Er scheint neue Kraft daraus gezogen zu haben. Er verließ seine Heimatstadt und ließ sich in New York nieder, wo er im Jahr zuvor »Alcuin« veröffentlicht hatte, eine utopische Vision von der Gleichberechtigung der Geschlechter. Das Büchlein verschaffte ihm die Sympathie des »Friendly Club«, dessen ausschließlich männliche Mitglieder sich für Fortbildung, »geistige Vervollkommnung« und die Rechte der Frau engagierten. Brown wurde der Posten des Herausgebers einer Zeitschrift des Literaten- und Intellektuellenkreises übertragen. Nicht zuletzt die Unterstützung des »Friendly Club« ermöglichte es ihm, innerhalb von drei Jahren nicht weniger als sechs Romane zu vollenden und zu veröffentlichen.
       In kurzen Abständen erschienen »Wieland, or The Transformation« (»Wieland oder die Verwandlung«), der zweibändige »Arthur Mervyn« sowie »Ormond, or The Secret Witness« und »Edgar Huntly, or Memoirs of a Sleep-Walker« – spannende Romane über Verschwörung, Mord, Besessenheit und Wahnsinn, die aber auch ein realistisches Bild der amerikanischen Großstädte und des ländlichen Pennsylvania vermittelten. Etwas später folgten die weniger spektakulären Frauenromane »Clara Howard« und »Jane Talbot«, die eine überaus kritische Leserin, Mary Shelley, etwas einsilbig als »dämlich« bezeichnete.
       Die vier Hauptwerke Browns sind ein grellbuntes Kaleidoskop aus Motiven und Charakteren, die in immer neuen Variationen wiederkehren: außergewöhnliche Phänomene wie spontane Selbstverbrennung, Bauchreden und Schlafwandeln, rätselhafte Todesfälle, undurchschaubare Intrigen, Angst und Bedrohung, das komplizierte Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schüler, Meister und Adepten, Geheimgesellschaften, die gleichermaßen als Verheißung und Gefahr in Erscheinung treten. Brown beschreibt eine dunkle labyrinthische Welt voller Schatten und namenloser Gefahren. Er konfrontiert seine Figuren mit Rätseln, deren Lösung immer neue Fragen aufwirft. Die Landschaften, die er beschreibt, verwandeln sich unmerklich zu Regionen des Traums und des Unbewussten.
       »Wieland« ist das bekannteste Werk. Es steht dem klassischen Schauerroman am nächsten, doch sein eigentliches Thema ist religiöser Fanatismus, der in Wahnsinn und Mord gipfelt. Theodore Wielands Vater stirbt auf merkwürdige Art. Sein Körper fängt plötzlich Feuer und verbrennt zu Asche. Kurz darauf hört Wieland eine leise, eindringliche Stimme. Ist es die Stimme Gottes, die ihm befiehlt, sein heiliges Werk zu tun? Wieland zögert und zweifelt, doch die Stimme wird immer lauter, drängender und fordernder. Schließlich fühlt er den unwiderstehlichen Zwang, der unheimlichen Stimme zu gehorchen, die von ihm ein grauenvolles Opfer verlangt. Er soll Frau und Kinder erschlagen! Wielands Schwester Clara, die Ich-Erzählerin des Romans, will ihren Bruder retten. Sie entdeckt, dass kein übermenschliches Wesen für die unheilvollen Einflüsterungen verantwortlich ist, sondern ein Fremder, der nachts um das Haus schleicht. Es ist Carwin, ein Mann, der eine seltene Kunst beherrscht: Er kann seine Stimme beliebig verstellen und den Anschein erwecken, sie komme aus einer anderen Richtung oder aus dem Nichts.
       Brown arbeitete eine Zeitlang an der Vorgeschichte des heimlichen Helden seines Romans. Das Fragment »Memoirs of Carwin the Biloquist« (»Memoiren des Bauchredners Carwin«), das bereits im Vorwort von »Wieland« als eigenständiger Roman angekündigt wurde, sollte jedoch nie vollendet

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