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Die Bibliothek der verlorenen Bücher

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Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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Titel »Le Secret de Raoul« aufstöbern wird.

    Coopers Vermächtnis

    D ie Romane James Fenimore Coopers prägten zu Beginn des 19. Jahrhunderts die romantische Vorstellung der Europäer von der malerischen Wildnis Amerikas, von endlosen Wäldern und Prärien, von edelmütigen und stolzen Indianern und von dem unbezwingbaren Freiheitsdrang einsamer Trapper.
       Im deutschen Sprachraum ist Cooper heute durch stark gekürzte Jugendbuchausgaben seiner Lederstrumpf-Romane bekannt, zu seinen Lebzeiten wurde er von Autoren wie Goethe und Balzac gelesen und gelobt. Seine Werke wurden kurz nach ihrem Erscheinen in alle Sprachen übersetzt, so dass amerikanische Touristen sie sogar in den Buchhandlungen von Konstantinopel und Isfahan entdecken konnten. Während seiner großen Europareise war Cooper gerngesehener Gast bei Prinzen und Prinzessinnen, Lords und Ladys, denen er voll Enthusiasmus sein farbiges und optimistisches Bild der Vereinigten Staaten und ihrer Demokratie vermittelte.
       1834 kehrte der Romancier samt Familie in seine Heimatstadt Cooperstown am Otsego Lake zurück und zog in das altehrwürdige Herrenhaus seines Vaters. Hier schrieb er weitere überaus erfolgreiche Abenteuer- und Seeromane, die seinen Ruf als bedeutendsten und berühmtesten Vertreter der noch jungen amerikanischen Literatur festigten. Die Bücher ent standen auf recht merkwürdige Weise: Cooper marschierte stundenlang in dem großen Saal von Otsego Hall auf und ab, wobei er im Kopf Handlungen, Szenarien und Figuren entwarf. Die Dialoge seiner Helden nahmen in lauten Selbstgesprächen Gestalt an. Um alles aufzuschreiben, zog sich Cooper in die Bibliothek zurück, wo ihn niemand außer seiner Siamkatze stören durfte. Der Katze war es sogar gestattet, über die auf dem Schreibtisch ausgebreiteten Manuskripte zu tappen, doch meist bequemte sie sich, auf Coopers Schulter zu sitzen, um mit beiläufigem Interesse das Auf und Ab der Schreibfeder zu verfolgen.
       Man könnte meinen, Cooper wäre ein hochgeachteter Mann gewesen. Doch er musste sich auf seinen langen Spaziergängen täglich das Gequengel einer alten Nachbarin anhören, die ihn schon als kleinen Jungen gekannt hatte: »Na, James, wann hörst du endlich auf, diese dummen Romane zu schreiben, und machst etwas Vernünftiges aus deinem Leben?«
       Für größten Ärger in der Nachbarschaft sorgte Coopers Versuch, einen kleinen Strand am Otsego Lake, der zu seinem Grundstück gehörte, für die Öffentlichkeit zu sperren. Der Rechtsstreit, der sich daraus entwickelte, beschädigte das Ansehen Coopers weit über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus. Die Bürger Cooperstowns beschlossen in einer Versammlung, sämtliche Werke ihres unliebsamen Nachbarn aus der Stadtbibliothek zu verbannen, und man diskutierte sogar den Vorschlag, eine große Bücherverbrennung zu organisieren.
       Auf Kritik an seiner Person und an seinem Werk reagierte Cooper drastisch. Unbequeme Journalisten zerrte er vor Gericht. Schlechte Rezensionen beantwortete er mit Gegendarstellungen, und seine späten Romane nutzte er zur Belehrung seiner Zeitgenossen. Mit seinem Essay »A Letter to His Countrymen« (»Ein Brief an seine Mitbürger«) gelang es ihm schließlich, nicht nur alle Zeitungsleute New Yorks, sondern auch Politiker aller Parteien gegen sich aufzubringen. Cooper geißelte den moralischen Verfall, die Degeneration der schönen Künste und sogar die mangelhafte Qualität des Straßenpflasters und der Straßenbeleuchtung in New York. Für seine patriotisch gesinnten Leser kam dies einem Landesverrat gleich. Die öffentliche Empörung und die Beschimpfungen, die nun auf ihn niederprasselten, beantwortete er mit einer rabelaisschen Satire, dem phantastischen Reiseroman »The Monikins«. Hier stellen affenartige Bewohner eines arktischen Kontinents die Untugenden des jungen Amerika zur Schau. Sie tragen ihr Gehirn nicht im Kopf, sondern im Schwanz und benehmen sich entsprechend unwürdig.
       Coopers Spätwerk nahm zuweilen exzentrische Züge an. Sein sozialkritischer Kurzroman »History of an Handkerchief« gilt als der einzige Text der Weltliteratur, der aus der Perspektive eines Taschentuchs geschrieben ist. Bis zu seinem Tod im Jahr 1851 arbeitete er jedoch an einer monumentalen Geschichte New Yorks, die den Titel »The Towns of Manhattan« tragen und seine besten Werke übertreffen sollte. Sein Thema waren die grauenhaften Zustände in den von europäischen Einwanderern überlaufenen

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