Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Biene Maja

Die Biene Maja

Titel: Die Biene Maja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
Vom Netzwerk:
Blatt empor, ergriff den Faden, an dem die kleine Maja hing, hielt sich daran fest und ließ dann das Blatt los. Der Faden riß und beide fielen zu Boden.
    »Das wäre der Anfang«, sagte Kurt. »Aber Sie zittern ja, kleine Maja, ach Arme, wie blaß Sie sind. Wer wird sich denn so vor dem Tode fürchten? Dem Tod muß man ruhig ins Auge sehn, wie ich es zu tun pflege. So, nun werde ich Sie auspacken.«
    Es war der kleinen Biene unmöglich, ein Wort zu sprechen. Helle Freudentränen liefen ihr über die Wangen. Sie sollte frei werden, sie sollte wieder im Sonnenschein fliegen, wohin sie wollte, sie sollte leben.
    Da sah sie über sich die Spinne die Brombeerranke herunterkommen.
    »Kurt,« schrie sie, »die Spinne kommt!«
    Kurt ließ sich nicht stören, er lachte nur vor sich hin. Er war allerdings ein außerordentlich starker Käfer.
    »Die überlegt es sich noch«, sagte er ruhig.
    Aber da erklang schon die böse krächzende Stimme über ihnen:
    »Räuber! Zu Hilfe! Man beraubt mich. Was haben Sie dicker Lümmel mit meiner Beute zu schaffen?!«
    »Regen Sie sich nicht auf, Madame«, sagte Kurt. »Ich werde mich wohl noch mit meiner Freundin unterhalten dürfen. Wenn Sie noch ein Wort sagen, was mir nicht gefällt, so zerreiße ich Ihnen Ihr ganzes Netz. Nun? Warum sind Sie denn plötzlich so schweigsam?«
    »Ich bin eine geschlagene Frau«, antwortete die Spinne.
    »Das tut nichts zur Sache«, meinte Kurt. »Jetzt machen Sie, daß Sie weiterkommen!«
    Die Spinne warf einen haßerfüllten und giftigen Blick auf Kurt, aber dann sah sie zu ihrem Netz empor und überlegte sich die Sache. Langsam kehrte sie um und schalt leise und grimmig vor sich hin. Da nützte allerdings kein Biß und kein Stich, gegen einen solchen Panzer, wie Kurt ihn trug, war nicht anzukommen.
    Sie klagte auf das heftigste über die Ungerechtigkeit der Umwelt und versteckte sich für alle Fälle vorläufig in einem welken Blatt, von dem aus sie ihr Netz übersehen konnte.
    Inzwischen war Kurt unten mit der Befreiung der kleinen Maja zu Ende. Er hatte die Gewebe zerrissen, ihre Flügel und Beinchen befreit, und den Rest konnte sie nun selbst übernehmen. Sie putzte sich froh und glücklich, wenn auch nur langsam, weil sie sehr geschwächt war von ihrer Angst und immer noch zitterte.
    »Sie müssen es vergessen,« sagte Kurt, »dann hört das Zittern auf. Versuchen Sie mal, ob Sie fliegen können.«
    Maja erhob sich mit leisem Summen, es ging vortrefflich, und sie erkannte zu ihrer Freude, daß keins ihrer Glieder beschädigt war. Sie flog langsam bis zu den Jasminbüschen hinauf, trank gierig von dem duftenden Honigsaft, den sie in großer Fülle fand, und kehrte dann zu Kurt zurück, der das Brombeergebüsch verlassen hatte und im Gras saß.
    »Ich danke Ihnen von ganzem Herzen«, sagte Maja, tief ergriffen vom Glück ihrer neuen Freiheit.
    »Es ist schon sehr dankenswert, was ich getan habe,« meinte Kurt, »aber ich bin immer so. Nun fliegen Sie nur weiter. Ich würde Ihnen raten, sich heute abend früh aufs Ohr zu legen. Haben Sie weit bis nach Haus?«
    »Nein,« antwortete Maja, »nur ein paar Minuten, ich wohne am Buchenwald. Leben Sie wohl, Kurt, ich werde Sie nie vergessen. Nie will ich Sie vergessen in meinem ganzen Leben.«

Achtes Kapitel
Die Wanze und der Schmetterling

    Die Gefangenschaft bei der Spinne hatte der kleinen Maja doch zu denken gegeben. Sie beschloß vorsichtiger zu werden, und sich künftig nicht mehr allzu rasch einzulassen. Wenn Kassandra sie auch über die größten Gefahren, die den Bienen drohen, unterrichtet hatte, so war doch die Welt zu groß, und es gab zu vielerlei Möglichkeiten, als daß man nicht allen Grund gehabt hätte, nachdenklich zu werden. Besonders des Abends, wenn die Dämmerung über das Land niedersank, kamen der kleinen Biene mancherlei Erwägungen in ihrer Einsamkeit; schien aber am andern Morgen die Sonne, so vergaß sie für gewöhnlich die Hälfte ihrer Besorgnisse und ließ sich durch ihr Verlangen nach Erlebnissen aufs neue in den bunten Lebensstrudel hinaustreiben.
    Eines Tages begegnete ihr in einem Himbeergebüsch ein merkwürdiges Tier. Es war eckig und seltsam platt, hatte aber eine hübsche Zeichnung auf seinem Rückenschild, von dem man nicht recht sagen konnte, ob es Flügel waren oder nicht. Das seltsame kleine Ungeheuer saß ganz still mit halbgeschlossenen Augen auf einem Blatt im Schatten im Duft der Himbeeren und schien nachzudenken.
    Maja wollte wissen, was das für ein Tier

Weitere Kostenlose Bücher